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Wie entstand der Hubschrauber?

Durchaus berufene Erfinder haben sich an der Umsetzung der alten Idee vom Hubschrauber versucht. Die Herausforderung reizt auch Generationen von Phantasten. Man tastet und testet sich vorwärts. Gemessen wird in Zentimetern und Sekunden.

Von Stefan Bartmann
Oehmichens
Kompliziert: Vier Rotoren und acht Propeller sorgen bei Oehmichens No. 2 für Auftrieb, Stabilität und Vortrieb. Die flexiblen Rotoren lassen sich verwinden – so kann der Pilot steuern. 1924 vollendet der Peugeot-Ingenieur in knapp acht Minuten einen Vollkreis. Foto: Bildsammlung Bartmann

Im Jahr 1911 sieht es nicht gut aus im Lager des „Schrauben- und Rotationsfluges“, also bei den Hubschrauber-Anhängern. Die von ihnen als Systemfehler verachteten Flugzeuge peilen schon 4000 Meter Höhe an und fliegen 150 km/h schnell. Die Erfolge der international verstreuten Hubschrauber-Verfechter sind dagegen äußerst bescheiden. Viel Geld und Mühe sind bereits in ihr favorisiertes Prinzip gesteckt worden.

Leonardo da Vinci, wer sonst, kam als erster auf die Idee, sich „in die Luft zu bohren und in die Höhe zu steigen“. An seinen Skizzen entzündete sich die Fantasie. Fliegendes Hubschrauberspielzeug – aus Federn, Kork und Sehnen – gibt es seit Jahrhunderten. Es folgte viel Konstruktionsarbeit auf dem Papier. Und dort blieb sie zumeist. Antrieb, Steuerung, Stabilität sind die zentralen Probleme. Alles scheint möglich. Doch schon an der puren Loslösung vom Boden scheitern die meisten. Die frühen Hubschrauberentwickler werden argwöhnisch beäugt auf ihrem exzentrischen Randgebiet der Luftfahrt.

Die Geschichte der Hubschrauber: Mit dem Viertaktmotor kommt Schwung in die Sache

Mit dem Viertaktmotor kommt Schwung in die Sache. Paul Cornu, ein Fahrradhersteller aus der Normandie, verewigt sich vor 115 Jahren in den Annalen der Luftfahrt. Die 24 PS eines Antoinette-V8, eine Entwicklung aus dem Rennbootbau, überträgt er mit 20 Meter langen flatternden Lederriemen auf zwei untersetzte Rotoren. Die machen 85 Umdrehungen pro Minute, mehr nicht. Am 13. November 1907 erhebt sich Cornu mit seinem Apparat: keine halbe Minute lang und 30 Zentimeter hoch. Doch es ist der erste freie Flug eines Hubschraubers. Danach sind die Mittel des Privatmanns erschöpft. Viel öffentliches Interesse hat er mit seinen Versuchen nicht zu wecken vermocht. Er gibt auf.

Wäre es nach dem Geschmack des jungen Igor Sikorsky in Russland gegangen, hätte das Hubschrauber-Prinzip die Luftfahrt von Anfang an dominiert. Schon 1910 posiert er neben seinem zweiten Helikopter, der einer Erntemaschine nicht unähnlich sieht. Doch wie sein Erstling bleibt auch diese Konstruktion hartnäckig am Boden. Die 25 PS des schüttelnden Anzani-Dreizylinders sind für die gegenläufigen Rotoren wohl zu schlapp.

Entwicklungsstopp zweiter Weltkrieg

Nach dieser ernüchternden Erfahrung wendet sich der Mann aus Kiew Flächenflugzeugen zu und wird der bedeutendste Flugzeugkonstrukteur im zaristischen Russland. Erst viel später, schon als älterer Herr und machtvoller Konzernchef in den USA, wendet er sich seinen Jugendträumen zu. In den dreißiger Jahren kann er nun auf wertvolle Grundlagenforschung anderer Konstrukteure zurückgreifen. Etwa auf jene von Etienne Oehmichen, einem Peugeot-Ingenieur. Der Erste Weltkrieg war über die Hubschrauber-Visionen hinweggegangen; gefragt waren andere Eigenschaften von Flugmaschinen. Doch kaum ist der Schlachtenlärm verklungen, greift Oehmichen die Sache wieder auf.

GasballonGasballon
Hybrid-Helikopter: Etienne Oehmichen lässt bei seiner No. 1 die Hälfte des Auftriebs von einem Gasballon erzeugen, der Rest kommt von zwei Rotoren.

Der Franzose, der noch als Biologe reüssieren wird, praktiziert etwas, das man irgendwann Biomechanik nennen wird. Er schaut sich Libellen genau an und lässt sich vom perfekten Zusammenspiel ihrer Flügel inspirieren. Doch Oehmichens eigenwillige Konstruktion, die er im Frühjahr 1921 erprobt, erinnert wenig an die Eleganz der Libellen. In seiner No. 1 kombiniert er einen Zwei-Rotoren-Hubschrauber mit einem 140 Kubikmeter kleinen Gasballon in Wurstform, der für die Hälfte des benötigten Auftriebs sorgt.

Die ersten Hubschrauber halten sich nicht lange in der Luft

Als sich dieses Hubschrauber-Ballon-Hybrid erstmals vom Boden hebt, war seit 1907 und dem (fast schon vergessenen) Paul Cornu in Sachen Helikopter kaum etwas Bedeutendes passiert. Ein bewegendes Filmdokument (das 1964 im Prolog der „Tollkühnen Männer in ihren Fliegenden Kisten“ Eingang findet) zeigt die nahezu außer Kontrolle geratene No. 1, während Helfer um ihre Köpfe fürchten. Ziemlich genau zur selben Zeit erhält in den USA ein Dr. George de Bothezat vom U. S. Army Air Corps einen Entwicklungsauftrag. Das Ergebnis hat vier sechsblättrige Rotoren und kann sich im Dezember 1922 immerhin 1:42 Minuten in der Luft halten. Die Army hat sich für ihr Geld wohl mehr von dem russischen Emigranten erwartet und streicht ihm die Mittel.

George de Bothezat George de Bothezat
Russe in den USA: George de Bothezat entwickelt für das U. S. Army Air Corps. Sein Helikopter mit vier Rotoren schafft 1922 eine Flugzeit von 1:42 Minuten.

Monsieur Oehmichen in Europa macht indessen weiter. Seine No. 2 gilt als erster Quadrokopter: vier Rotoren und acht horizontal angeordnete Propeller, die für Auftrieb, Stabilität und Vortrieb sorgen. Der Pilot kann die flexiblen Rotoren mittels Seilzügen verwinden, also rudimentär steuern. Im November 1922 hebt der Apparat mit seinen 120 PS tatsächlich ab. In den folgenden Monaten und Jahren zeigt die No. 2, wozu sie imstande ist – etwa 358 Meter weit fliegen oder ein 100-Kilo-Gewicht auf einen Meter Höhe lupfen. Im Mai 1924 zirkelt Oehmichen in knapp acht Minuten einen Vollkreis, was ihm ein stattliches Preisgeld der französischen Regierung einbringt. Eintausend Mal soll seine No. 2 geflogen sein.

Dehmoment-Problem gelöst: 1919 wird der erste koaxial Wirkende Rotor entwickelt

Etienne Oehmichen ist nicht der einzige Europäer unter den Hubschrauber-Pionieren. Ihm sitzt ein Konkurrent im Nacken, der einen ganz anderen Ansatz vertritt: Raul Pateras Pescara, ein spanischer Edelmann, der in Italien und Frankreich forscht und arbeitet. Pescara versucht es ab 1919 mit patentierten gegenläufigen – also koaxial wirkenden – Rotoren, womit sich zumindest das lästige Drehmoment-Problem auf geniale Weise auflöst.

Koaxial- HubschrauberKoaxial- Hubschrauber
Wilde Kiste: Raul Pescaras Koaxial- Hubschrauber hat vier gegenläufige Rotoren. In einem Hangar bei Paris macht er seine ersten Flugversuche.

Sein erfolgreichstes Modell, die No. 3, wird von einem 180-PS-Hispano-Suiza-V8 angetrieben. Im April 1924 überbietet er den taufrischen Streckenrekord von Oehmichen um das Doppelte: Pescara schafft 735 Meter in 4:11 Minuten. Auch technisch hängt der Spanier seinen Konkurrenten ab. Die 16 Rotorblätter seines Hubschraubers kurbeln allesamt um einen schwenkbaren Rotormast und haben bereits eine moderne Blattverstellung.

Beiden, Pescara wie Oehmichen, gelingt ein Schritt in die Zukunft. Koaxial-Hubschrauber sind heute zuverlässige Arbeitstiere im harten Einsatz, während Oehmichens Quadrokopter (und deren Verwandte, die Multikopter) in unzähligen Drohnen und einigen futuristischen Luft-Taxi-Experimenten ihre Wiederauferstehung feiern.

Spätes Erfolgserlebnis: Die Focke-Achgelis Fa 61 stellt mehrere Rekorde auf

Auch die Deutschen, bislang eher unauffällig auf diesem Gebiet, haben im Juni 1936 ihr spätes Erfolgserlebnis. Da vollführt die Fw 61, ein Lieblingsprojekt von Henrich Focke, ihren ersten freien Flug. Zwei Exemplare werden gebaut, und bald gehen alle Hubschrauber-Rekorde auf ihr Konto. In Erinnerung bleibt Hanna Reitschs öffentliche Vorführung der Focke-Achgelis Fa 61, wie die Maschine nun heißt, im Februar 1938 in der Berliner „Deutschlandhalle“ – ein Propaganda-Akt, den Ernst Udet eingefädelt hat.

Focke-AchgelisFocke-Achgelis
Durchbruch: Der Focke-Achgelis Fa 61 überbietet 1937 alle Hubschrauber-Weltrekorde: 2439 Meter Höhe, 80 Kilometer Strecke, 1:20 Stunden Flugzeit und 122 km/h Geschwindigkeit.

Reitsch lässt die Maschine im befremdlichen Rahmen der „Kolonialschau“ ein paar gemächliche Runden quirlen und wie auf dem Präsentierteller um sich selbst drehen. Durchaus beeindruckend, aber nicht das Spektakel, das dem Publikum versprochen worden war: „Mit 300 km/h durch die Tropen“. Die Berliner, hustend im Staub der Rotoren und Abgase, sollen recht enttäuscht gewesen sein

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Stefan Bartmann

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