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Flugzeug-Reportage: de Havilland D.H.84 Dragon II

1936 war Iolar das erste Flugzeug von Aer Lingus. Heute pflegt die irische Fluggesellschaft ihre Tradition mit einer identischen Maschine des gleichen Baujahrs – einer der ganz wenigen flugfähigen D.H.84 weltweit

Von Redaktion
Flugzeug-Reportage: de Havilland D.H.84 Dragon II

John O’Toole hat als Pilot schon viel erlebt. Kürzlich saß der stämmige Ire am Steuerknüppel einer Twin Otter und war mit einer Expedition wochenlang in der Antarktis unterwegs. „Das war oft furchtbar kalt“, erzählt er, „aber die Antarktis hat mich gut auf die Iolar vorbereitet, mich gelehrt, immer das Unerwartete zu erwarten.“ Im Hauptberuf ist O’Toole ein ganz normaler Luftkutscher bei der irischen Fluggesellschaft Aer Lingus, auf Airbus A320. In letzter Zeit widmet er sich aber so oft wie möglich seiner neuen Liebe, die in Wahrheit schon ganz alt ist: einem historischen Doppeldecker namens Iolar, was auf gälisch Adler heißt und „Ollar“ ausgesprochen wird. Die de Havilland D.H.84 Dragon II, so ihre Typenbezeichnung, wurde bereits 1936 im britischen Hatfield gebaut. Zwischen 1932 und 1937 entstanden in England 115 Exemplare, während des Zweiten Weltkriegs dann noch mal 87 weitere in Australien als Funk- und Navigationstrainer.

Anders als vom größeren und bekannteren Nachfolgemodell D.H.89 Rapide sind von der Dragon weltweit nur fünf flugfähige Exemplare erhalten, neben der irischen Iolar eins in England, zwei in Australien und eins in Neuseeland. Am 27. Mai 1936 startete eine Schwestermaschine der Iolar zum ersten Mal für die neu gegründete Aer Lingus, zweieinhalb Jahre nachdem der D.H.84-Prototyp zum Jungfernflug abgehoben hatte. Voll besetzt ging es mit sechs Passagieren von Dublin nach Bristol in England. Die Dragon galt damals als sparsamer Miniatur-Airliner, ideal für den Einstieg der jungen Fluggesellschaft. Mit ihrem bescheidenen Verbrauch von gerade mal 13 Gallonen pro Stunde, ihrer simplen, wartungsarmen Konstruktion und der gemächlichen Reisegeschwindigkeit von 114 miles per hour war sie ideal für den Betrieb auf kurzen Strecken mit geringem Passagieraufkommen. Schon der Sprung von Dublin nach Bristol allerdings, kaum 320 Kilometer, brachte sie voll besetzt an den Rand ihrer Möglichkeiten.

Von der Dragon sind weltweit nur fünf flugfähige Exemplare erhalten

Die Original-Iolar der Aer Lingus, Kennzeichen EI-ABI, wurde bereits 1941 nahe der Scilly-Inseln ein Opfer des Zweiten Weltkriegs. Erst 1967 kümmerte sich die Fluggesellschaft darum, ihre eigene Geschichte wieder lebendig werden zu lassen; mittlerweile hatte sie sich als große internationale Airline etabliert. In England erwarb man eine D.H.84, die ebenfalls 1936 gebaut worden war, und restaurierte sie in den Originalfarben. Als 1971 die erste Boeing 747 an Aer Lingus ausgeliefert wurde, erhielt der Jumbo-Jet am Boden eine Ehreneskorte durch die Ersatz-Iolar, die bis dahin zur Rollfähigkeit restauriert worden war. Kurz darauf wurde das geschichtsträchtige Flugzeug als Schaustück unter der Decke des Terminals am Dubliner Flughafen gehängt. Erst 1986, zum 50-jährigen Bestehen der Airline, machten Wartungsexperte John Malloy und eine Handvoll Freiwillige den fragilen Doppeldecker mit seinen bespannten Tragflächen wieder flugfähig.

Fünf Jahre lang war das Flugzeug zu Werbezwecken in Irland und Großbritannien unterwegs, dann wurde es erneut eingemottet, bis zum 60. Airline-Geburtstag. Ein achtjähriges Zwischenspiel endete mit der Verbannung in eine Ecke des großen Hangars auf dem Flugplatz von Dublin – Traditionsflugzeuge sind teuer im Unterhalt, und der Fluggesellschaft ging es zeitweise nicht gut. Erst als 2009 Christoph Müller neuer Geschäftsführer von Aer Lingus wurde, rückte Iolar wieder ins Blickfeld. Der Ex-Lufthansa-Manager begeisterte sich für die Idee, dem historischen Schmuckstück anlässlich des bevorstehenden 75. Airline-Geburtstags zu neuem Glanz zu verhelfen. „Sie erinnert mich an die Zeit, als Fliegen noch Abenteuer war“, schwärmt Müller. Er weiß um den Werbewert solcher Maschinen, schließlich stammt auch das Traditionsflugzeug der Lufthansa, die Ju-52 „D-AQUI“, aus dem Jahr 1936.

Über der Elbe: Auf der Reise nach Berlin geht’s westlich von Hamburg um die Kontrollzone herum

Anders als die Junkers mit ihrer damals sehr fortschrittlichen Ganzmetallbauweise verkörpert die bespannte, aus Holz gefertigte D.H.84 jedoch eine in den dreißiger Jahren zu Ende gehende Epoche, jedenfalls was Passagierflugzeuge betritt. Aber das spielte in Irland keine Rolle: „Als Aer Lingus gegründet wurde“, so Müller, „bestand die Republik Irland erst seit 14 Jahren, und dieses Flugzeug bot die Möglichkeit, die Insel ohne lange Reisezeiten zu verlassen. Das hatte damals schon eine große Symbolkraft.“ Wartungsveteran Malloy, treibende Kraft hinter den mehrfachen Restaurierungen der Dragon, ist stolz auf sein Werk: „Ich bin ziemlich optimistisch, dass sie hundert Jahre alt wird, aber wir müssen ihre Flugfähigkeit alle fünf Jahre einer kritischen Prüfung unterziehen.“ 2010 leitete er die letzte große Restaurierung des Oldtimers. Dabei wurden auch die beiden luftgekühlten Vierzylinder-Reihenmotoren des Typs de Havilland Gypsy Major überholt.

Seitdem haben sie nur rund 300 Stunden auf der Uhr, insgesamt zwar schon 7 000 Stunden, aber sie sind noch lange nicht am Limit. Schon bei der ersten Generalüberholung 1985 mussten 60 Prozent des Sperrholzes im Rumpf durch massive Holz-Holme ersetzt werden. „Damit sind wir nicht mehr von der Güte des Klebstoffs abhängig“, erklärt Malloy. Damals wurde auch die ursprüngliche Bespannung aus Leinenstoff durch modernes Polyestergewebe ersetzt. „Unter dem Rumpf ist die Bespannung zusammengebunden wie die Schnürsenkel eines Schuhs“, erklärt der Techniker. Die Originalpropeller wichen neuen mit optimierter Steigung. Ein Tuning-Trick brachte darüber hinaus acht km/h mehr Speed: „Die Dragon“, erzählt Malloy, „hat Flügel, die man beiklappen kann. Ich habe die Klappspalte mit Klebeband abgedeckt und so eine aerodynamische Verbesserung erzielt.“

Die D.H.84 ist wegen ihrer leichten Bauweise und ihres Leergewicht von 1,8 Tonnen sehr anfällig für Seitenwind

Dennoch ist das Flugzeug fast im Originalzustand von 1936; ein paar Extras dienen der Sicherheit, etwa die Sitzgurte. In der Kabine herrscht eine authentische Atmosphäre: Die sieben Sitze sind mit braunem Leder bespannt, wenngleich die Iolar nur noch für den Betrieb mit höchstens vier Passagieren zugelassen ist. Sie erhalten Frischluft aus Metallrohren mit regelbaren Auslässen über jedem Sitz und können an kuriosen Schlaufen aus Hanfseil Halt suchen, die unter der Kabinendecke hängen. „Das ist vermutlich eines der am vollständigsten im Originalzustand erhaltenen Flugzeuge, die überhaupt noch fliegen“, sagt Malloy und weist darauf hin, dass etwa die Motorabdeckungen Originalteile sind, keine Nachbildungen. Im Spätsommer 2012 machte sich die Ersatz-Iolar erstmals auf den Weg zum europäischen Kontinent. Die Route führte von Dublin nach Coventry, dann zur englischen Ostküste, nach Antwerpen und weiter bis Essen-Mülheim.

Die Streckenabschnitte dauern üblicherweise zirka anderthalb Stunden, vier Stunden sind nonstop maximal möglich. In Essen sowie in Hannover, Hamburg und Uetersen unternahm der Doppeldecker Rundflüge, bevor er auf der ILA in Berlin im täglichen Flugprogramm brillierte. „Das Wetter muss schon mitspielen“, sagt Pilot John O’Toole, denn die D.H.84 ist wegen ihrer leichten Bauweise und ihres Leergewicht von gerade mal 1,8 Tonnen sehr anfällig für Seitenwind. „Wir landen am besten auf Graspisten, das ist bei Flugzeugen mit Spornrad wesentlich einfacher als auf Asphalt“, erklärt O’Toole. Der Ire liebt das Fluggefühl im ungewöhnlichen Cockpit der D.H.84. Beim Einstieg muss er sich durch eine winzige dreieckige Tür hineinzwängen, bevor er hinter dem brezelförmigen Steuerhorn Platz nehmen kann. Die Instrumentierung besteht aus einer spartanischen Uhrensammlung: Höhen-, Fahrt- und Drehzahlmesser, Künstlicher Horizont und Wendezeiger, mehr gibt es nicht.

Im Glashaus: Das Cockpit bietet nur einem Piloten Platz

Da nur auf Sicht geflogen wird, besteht allerdings auch kein Bedarf für einen Autopiloten und aufwändige Avionik. In der spitz zulaufenden Rumpfnase arbeitet der Pilot vorn ganz allein, wo er durch die vielen Fenster einen grandiosen Ausblick genießt. Bei Streckenflügen sitzt direkt hinter ihm auf einem Passagiersitz ein Navigator, der ihn per Luftfahrtkarte und iPad unterstützt. O’Toole weiß das Einmann-Cockpit durchaus zu schätzen: „Es ist gar nicht so gut, immer jemanden neben sich zu haben, ich komme an alles sehr gut allein ran“, sagt er und freut sich, dass außer ihm nur drei andere Aer-Lingus-Piloten das Privileg haben, die Iolar zu fliegen. Dazu mussten sie in ihrer Freizeit bis zu 50 Trainingsstunden auf dem historischen Flugzeug absolvieren.

Während des Trips von Uetersen zum Flughafen Berlin-Brandenburg war es ein besonderes Vergnügen, bei perfektem Sommerwetter aus geringer Höhe durchs offene Schiebefenster der Einstiegstür zu blicken und erst Elbe, später Spree, Havel, Potsdam und den Wannsee zu überfliegen. Krönender Abschluss war die Landung in BER auf der nur Stunden zuvor temporär für die ILA geöffneten Südbahn – als erstes Passagierflugzeug! Auch dieses Jahr ist Iolar wieder in Deutschland unterwegs. Ende August besucht sie „Tannkosh“ und Anfang September den Oldtimer-Flugtag auf der Hahnweide. Es werden bestimmt nicht ihre letzten Landungen auf deutschem Boden sein.

Text & Fotos: Andreas Spaeth, fliegermagazin 9/2013

Technische Daten
de Havilland D.H.84 Dragon II
  • EI-ABI (vormals EI-AFK)
  • 1936
  • 14,43 m
  • 34,93 qm
  • 10,52 m
  • 3,30 m
  • 1800 kg
  • 2041 kg
  • 2 x 30 gal (113 l)
  • zwei de Havilland Gipsy Major/je 130 PS
  • zwei Hoffmann, 2-Blatt, fest, Holz-Composite
  • 14 500 ft
  • 474 NM (877 km)
Schlagwörter
  • oldtimer
  • Historisch
  • Spornrad
  • Doppeldecker
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