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Flugzeugporträt: Selbstbau-Pusher Rafale

Alle Piloten träumen von einem bestimmten Flugzeug, das sie gern einmal selbst steuern oder gar besitzen würden. Für viele bleibt es bei der Träumerei – der Franzose Claude Chudzik dagegen hat seinen Traum wahr gemacht

Von Redaktion
Flugzeugporträt: Selbstbau-Pusher Rafale

Elegant wie eine feingeschliffene Klinge und schnell wie der Wind: Die Rafale (Französisch für Windbö) von Claude Chudzik teilt nicht nur ihren Namen mit dem französischen Kampfflugzeug von Dassault Aviation, sie hat durchaus eine gewisse Ähnlichkeit mit dem zweistrahligen Jet. Canard-Konfiguration, ein aggressives Aussehen und die geschwungene Silhouette sind dabei nicht einmal die einzigen Gemeinsamkeiten. Beide Flugzeuge haben fast dasselbe Entstehungsjahr. Während der Militärjet am 4. Juli 1986 seinen Erstflug hatte, brachte Claude seine ersten Skizzen knapp sechs Monate später zu Papier. 15 Jahre brauchte er für Entwurf und Konstruktion, weitere vier Jahre für den Feinschliff dieser Maschine mit ihrer erhabenen Ästhetik, ihrer erstaunlichen Performance und ihren herausragenden Flugeigenschaften. Dass dieser Mix so ausgezeichnet gelungen ist, spricht in jedem Fall für den Franzosen und seine Fertigkeiten als Konstrukteur.

Doch wer glaubt, Claude Chudzik wäre mit Vollendung seines Projekts ebenfalls komplett abgehoben, den verblüfft der findige Autodidakt mit seiner Bescheidenheit und Höflichkeit. Sein Wissen hat er sich aus Büchern und durch Experimente angeeignet, von Haus aus ist er gelernter Automechaniker. In seiner weiteren Laufbahn machte er Station beim Autohersteller Citroën; dort war er Testfahrer für Prototypen und beschäftigte sich mit Kreiskolbenmotoren. Claude unterrichtete eine Zeit lang Automobiltechnik an einer Fachoberschule und baute zwischendurch eine Fabrik für Verpackungstechnik auf. Nächste Station war der französische Triebwerkshersteller Snecma, wo er mit der Endabnahme und Qualitätskontrolle beschäftigt war. Seit 2008 ist er beim Motorenhersteller SMA Spezialist für Dieselmotoren.

Meisterstück: Wie ein Jet wirkt der Tandemsitzer von Claude Chudzik. Die Maschine ist für eine Speed bis 350 Knoten berechnet

Und wann hat so einer noch die Muße, ein Flugzeug zu entwerfen? Kaum zu glauben, aber in der knappen Freizeit natürlich. Geschätzt tausende von Stunden widmete Claude seinem Projekt Rafale, seine Abende und manchmal seine Nächte, und dabei nutzte er einfachste Mittel wie Zeichenblock, Bleistift und Radiergummi – keine Computerprogramme, keine spezielle Design-Software. Das sagt einiges aus über den Menschen. Eines seiner Bonmots, das ihn vielleicht am besten charakterisiert, lautet: „Wenn man will, kann man – und wenn man kann, muss man auch.“ Dass er einen eisernen Arbeitswillen hat und ein Multitalent ist, würde er im Gespräch stets weit von sich weisen. Rühmt man seine exzellenten Resultate beim Arbeiten mit Faserverbundwerkstoffen, so wird er lapidar antworten, dass er halt mal mit seinem Bruder ein Kajak gebaut oder ein paar Segelflieger gebastelt hätte.

In allem, was er anpackt, wird Claude schnell zum Meister, alles scheint ihm leicht zu fallen. Er aber wiegelt ab und relativiert: „Na ja, ich lese einfach nur viele Bücher.“ Ein Composite-Zweisitzer in Canard-Konfiguration als Pusher und mit Einziehfahrwerk – ja, man könnte das Flugzeug auch schlicht als ambitionierten Amateurbau bezeichnen, doch es ist in vielerlei Hinsicht ein wahres Juwel. Allein schon die Aerodynamik: Hier gibt es keinen einzigen Quadratzentimeter, der nicht bis ins kleinste Detail ausgetüftelt worden ist. Von vorn und aus einer etwas tieferen Position betrachtet erkennt man am besten, dass die Rafale im Grunde so etwas wie ein Dreidecker ist: Den Anfang bildet der Entenflügel, dahinter folgt der Hauptflügel mit leicht negativer V-Stellung und Deltaform an der Wurzel, bevor er auf den letzten zwei Dritteln in eher konventioneller Weise ausläuft, und schließlich die große gepfeilte Flosse des T-Leitwerks.

Eingefädelt: Sitzt man erst einmal drin, ist die Ergonomie im Cockpit ausgezeichnet

Alle drei Flächen haben ein laminares Profil vom Typ NACA 65512, das nicht einmal im Regen an Tragfähigkeit verliert. Das Finish der Oberflächen ist makellos – besser hätten es auch Profis nicht machen können. Zu Beginn des Projekts hatte Claude die Möglichkeit genutzt, ein Modell im Maßstab 1:13 in einem Windkanal zu testen. So fand er die ideale Position des Canards in Relation zum Hauptflügel sowie die perfekte Position für den Motor. Das Ergebnis der aerodynamischen Feinarbeit lässt sich nun beim fertigen Flugzeug direkt an den Leistungen messen: 175 Knoten im ökonomischen Reiseflug bei 2450 Umdrehungen pro Minute, bei einem Verbrauch von 40 Litern pro Stunde. Der Lycoming IO-360 mit Einspritzung leistet 200 PS; er läuft mit etwas höherer Drehzahl als ein Exemplar von der Stange und bringt die Rafale damit auf eine Höchstgeschwindigkeit von 210 Knoten: eine Rakete!

Tatsächlich ist die Jet-Optik nicht einfach nur Show – Claude hat die Rafale schon so konstruiert, dass später auch mal eine Turbine eingebaut werden könnte. Die Rafale erfüllt nicht nur die strengen Kriterien der Bauvorschrift FAR 23, sie ist außerdem berechnet und ausgelegt für eine Top-Speed von 650 km/h, Belastungen von +9/–9 g und getestet auf eine Bruchlast von 16 g. Die spitze Nase enthält das Pitotrohr, die seitlichen Lufteingänge sind nicht nur Deko, sondern sorgen für eine effiziente Kühlung des Motors. Die Auslegung als Pusher ist nur konsequent: Ein Zugpropeller würde die kühnen Linien zunichte machen. Der Ausblick nach vorn ist außergewöhnlich gut, die um zwölf Grad abfallende Oberseite der Nase ermöglicht eine großartige Sicht. Die Propellereffekte sind gering, was vor allem bei Start und Landung sowie bei Lastwechseln sehr komfortabel ist.

Amateurbau? Ja, aber was für einer! Die Rafale ist bislang ein Einzelstück

Am Boden mag die Rafale auf ihren staksigen hohen Beinen noch wie ein unbeholfener Storch wirken – in der Luft verwandelt sie sich in eine Art Raubvogel. Auch mit dem 200 PS starken Lycoming sind ab 150 Knoten atemberaubende Manöver möglich. Hat dieses Flugzeug denn gar keine Schattenseiten, fragt man sich. Doch: Der Motor ist nicht gerade servicefreundlich untergebracht. Über Wartungsklappen kann man zwar den Ölstand prüfen, und man kommt an die Zündkerzen, die Einspritzung und die Magnete für die Zündung. Um weitere Arbeiten am Triebwerk durchführen zu können, muss man den Lycoming aber ausbauen. Dazu braucht es eine Hebebühne. Beim Einbau ist vor allem die Antriebswelle heikel: Die kleinste Ungenauigkeit kann zu einer Unwucht und zum Bruch und weiteren Schäden führen. Claude hat das Risiko versucht zu minimieren, in dem er die Länge der Antriebswelle vom Triebwerk zum Prop mit 0,452 Meter recht kurz gehalten hat.

Früher oder später möchte man wissen: Warum nicht doch eine Turbine oder ein „richtiges“ Jet-Triebwerk einbauen? Natürlich hat auch Claude daran gedacht und die Rafale entsprechend konstruiert. Alles ist bereits darauf ausgelegt, eines Tages ein Jet-Triebwerk oder eine Turbine einbauen zu können, etwa die GE-T58 von General Electrics: „Wenn man das Getriebe weglässt und eine ausreichend große Düse verbaut, erhält man einen Schub von ungefähr 700 Kilogramm. Darüber habe ich mit einigen Experten wie Jean-Marie Klinka einmal ernsthaft nachgedacht, und einer meiner Kollegen bei Snecma hat sogar eine solche Düse am Reißbrett entworfen. Doch um so ein Triebwerk auch zu bauen, braucht man schon viel Geld“, erklärt Claude mit einem kleinen Anflug von Bedauern.

Verwirrend: Die Rafale ist ein sehr komplexes Design

Mit einem solchen „Gebläse“ wäre die Rafale dann wohl wirklich das ultimative Spielzeug für große Jungs, sie könnte nach dem Start vermutlich gleich vertikal in die Höhe steigen und auch sonst Manöver zeigen, die für ein Kleinflugzeug üblicherweise jenseits aller Möglichkeiten sind. Muster wie BD-5, die LongEze der Rocket Racing League oder die Sub-Sonex wären sicherlich erfreut, einen neuen Spielgefährten zu haben. Von rund 1200 Flugstunden hat Claude die Hälfte mit Segelfliegen verbracht – daran erinnert der rote Wollfaden vorn auf der großen Plexi-Haube, der die Strömung anzeigt. Die einteilige Kanzel klappt zur rechten Seite weg und gibt den Weg frei ins Cockpit. Man braucht etwas Beweglichkeit und Übung, um sich über das zunächst auf der Flügelnase aufgesetzte Knie hochzuziehen – man kann aber auch gleich eine Leiter nehmen (die dann aber jemand wegnehmen muss, wenn man Platz genommen hat).

Immerhin: Im Gegensatz zur VariEze oder LongEze hat die Rafale keinerlei Probleme mit der statischen Balance, ihre Nase kann beim Abstellen am Boden horizontal bleiben, das Bugrad bleibt draußen. Das Cockpit mutet spartanisch an – Carbon und Leder? Fehlanzeige. Beim Einsteigen stellt man sich auf den Sitz, hält sich am Rumpf fest und steckt dann die Beine unter den beiden Aussparungen des Armaturenbretts durch. Sitzt man erst einmal, spürt man die gute Abstützung der Hüften und des Rückens. Selbst für etwas stärker gebaute Piloten ist die Schulterbreite mit 67 Zentimetern ausreichend. Der zentrale Stick liegt gut in der Hand, die Steuerwege sind kurz. Die linke Hand ruht auf der Innenseite des Rumpfs und kommt mühelos an den kleinen Gashebel heran. Das Bugrad ist mit den Pedalen fürs Seitenruder gekoppelt und über Kabelzüge steuerbar, Quer- und Höhenruder werden über Stangen betätigt.

„Ich bin kein Überflieger oder Alleswisser, ich hab einfach nur viele Bücher gelesen“ – Claude Chudzik, Pilot und Erbauer der CC02 Rafale

Der Tankwahlschalter für die beiden 75-Liter-Flügeltanks, die nicht miteinander verbunden sind, sitzt an der rechten Bordwand – die Bedienung der Rafale kommt ohne besondere Gimmicks aus. Die Sicht rundum ist perfekt, tatsächlich wie in einem Jagdflugzeug. „Eine gewisse Erfahrung muss sein, um die Maschine zu meistern“, gibt Claude zu, nicht ohne zu versichern, dass sie mit etwas Training aber rasch gezähmt sei. Bisher darf nur der Erbauer selbst die Maschine steuern, denn formell ist sie immer noch in der Flugerprobung, die aber bald abgeschlossen sein soll. Den Jungfernflug hatte das Einzelstück bereits am 28. Juni 2007, seitdem war die Rafale 100 Stunden in der Luft. Zugelassen ist sie für eine maximale Abflugmasse, die zwei Personen à 80 Kilo und volle Tanks erlaubt, das sind 824 Kilogramm. Alternativ kann der zweite Sitz ausgebaut werden. Der entstehende Platz lässt sich dann zum Beispiel mit einem zusätzlichen Tank oder für Gepäck nutzen.

Die Startstrecke mit erster Klappenstufe (sieben Grad) beträgt 500 Meter (vorzugsweise Hartbelag), bei rund 90 Knoten hebt die Maschine ab, mit einer Steigrate von 1200 bis 1500 Fuß pro Minute geht’s aufwärts. Neun Sekunden braucht die Mechanik des Einziehfahrwerks, um die Räder in den Rumpf zu holen. Bei 75 Prozent Leistung, im ökonomischen Reiseflug, fliegt die Rafale tatsächlich 175 Knoten, was einer Flugdauer von drei Stunden und 45 Minuten entspricht, hinzu kommt eine Reserve von 30 Minuten. Theoretisch kann man so 540 Nautische Meilen weit fliegen. Zur Landung fliegt man mit 110 Knoten an, man braucht eine Pistenlänge von mindestens 900 Metern und mit festem Untergrund. Auch bei Seitenwind bleibt die Maschine offenbar gut kontrollierbar: Bei unserem Fotoflug gab es Böen von bis zu 25 Knoten, die Claude aber problemlos aussteuern konnte.

Traumflieger: Interessenten können mit Claude Chudzik gern Kontakt aufnehmen und mehr über den Bau erfahren

Das Fahrwerk wirkt ausgefahren extrem langbeinig und staksig, doch die große Bodenfreiheit hält den Prop beim Aufsetzen auf sicheren Abstand zur Piste. Beim Landen hält Claude wie bei einem Kampfjet die Nase der Maschine bis ganz zum Schluss oben, wobei der Entenflügel die Sicht nach vorn nicht sonderlich beeinträchtigt. Seine Steuerflächen, die das Pitch mitkontrollieren, fahren elektrisch und simultan mit den Landeklappen des Hauptflügels, allerdings mit nur etwa halb so viel Ausschlag. Das ermöglicht einen vergleichsweise flachen Anflugwinkel. Fast 20 Jahre hat Claude Chudzik gebraucht, um seinen Traum zu verwirklichen.

Im Vergleich zu ähnlichen Mustern wie LongEze oder VariEze scheint die Rafale neue Maßstäbe zu setzen, doch es gibt dabei eine letzte Herausforderung, die nicht zu unterschätzen ist: die erfolgreiche kommerzielle Vermarktung als Kit. Interessenten können Claude per E-Mail kontaktieren – oder einen Ausflug nach Nangis machen, 70 Kilometer östlich von Paris. Genießen Sie das Essen im Restaurant „Le Pelican“ am örtlichen Flugplatz, und mit etwas Glück entdecken Sie vielleicht ein merkwürdig aussehendes kleines Flugzeug. Dessen Besitzer dürfte dann nicht weit weg sein – der Hangar der Rafale steht in unmittelbarer Nähe der Tankstelle.

Text & Fotos: Jean-Marie Urlacher; fliegermagazin 1/2015

Technische Daten
Chudzik CC02 Rafale
  • Claude Chudzik, Telefon: 0341/44 23 05-0, claude.chudzik@gmail.com, www.cco2.aircraft.free.fr
  • 1,90 m/5,50 m/2,68 m*
  • 0,511 qm/5 qm/1,05 qm*
  • 6 m
  • k. A.
  • 560 kg
  • 824 kg
  • 2 x 75 l
  • Lycoming IO-360/200 PS
  • MT, 3-Blatt, Constant Speed
  • 1200 –1500 ft/min
  • 3 h 15 min (+ 30 Minuten Reserve)
  • *(Canard/Hauptflügel/Leitwerk)
Schlagwörter
  • Kitplane
  • Snecma
  • Lycoming IO-360
  • NACA 65512
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  • T-Leitwerk
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