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Gefährlich: Überladung einer Cessna 172 führt zum Absturz

Gleich nach dem Abheben kann eine Cessna 172 nicht an Höhe gewinnen, sie verunfallt am Bahnende. Das Flugzeug ist um 187 Kilo überladen!

Von Thomas Borchert
Absturzstelle
Schwer beschädigt: Beim Aufprall der Maschine auf der Brachfläche wurden drei Insassen schwer und eine Person leicht verletzt. Foto: Bundesstelle für Flugunfalluntersuchungen

Bei zwei Sitzen passen zwei Leute rein, bei vier Sitzen vier – so einfach machen sich viele Piloten die Weight & Balance-Berechnung. Doch das genügt bei weitem nicht: Es kommt auf das Gewicht der Insassen an und darauf, wie voll die Tanks für das Flugvorhaben sein müssen. Eine präzise und realistische Kalkulation ist für einen sicheren Flug unverzichtbar. Ein Unfall vom 28. Juli 2017 zeigt das auf besonders eindrückliche Weise.

Es ist ein schöner, ruhiger Sommertag mit 21 Grad und bestem Wetter am Sonderlandeplatz Allstedt (EDBT) 90 Kilometer westlich von Leipzig. Die Pilotin einer Cessna 172N Skyhawk plant einen halbstündigen Rundflug mit zwei Gästen. Sie hat 940 Stunden Flugerfahrung und gilt damit als erfahren, auch wenn der Großteil der Zeit auf Reisemotorseglern geflogen wurde. Mit Motorflugzeugen, vorwiegend Cessna 172, ist sie 97 Stunden in der Luft gewesen, zuletzt zehn Monate vor dem Unfall. Die meisten ihrer Skyhawk-
Flüge starteten mit vier Personen von einem 650 Meter langen Grasplatz.

Flugzeug überladen: Die Cessna 172 startet voll besetzt in Allstedt

Die Bahn in Allstedt ist befestigt und mit 1200 Metern deutlich länger. Im letzten Moment fragt eine weitere Person, ob sie mitkommen darf – die Pilotin stimmt zu. So startet die Cessna 172 voll besetzt auf der „25“. Erst kurz vor der Halbbahnmarkierung kommt die Maschine nach 550 Metern Rollstrecke in die Luft, so gibt die Pilotin später an. Auch die Flugleiterin bestätigt einen ungewöhnlich langen Startlauf. Flach und taumelnd, so sagt sie, sei die Cessna über eine Photovoltaik-Anlage links der Bahn geflogen und dann sinkend aus ihrem Blickfeld verschwunden.

FlugwegFlugweg
Crash am Bahnende: Erst kurz vor der Halbbahnmarkierung der 1200-Meter-Piste hob die 172 ab, gewann aber nicht an Höhe. Sie überflog eine Solaranlage und schlug auf einer Brachfläche auf.

Die 69 Jahre alte Pilotin gibt an, das Flugzeug habe eine Höhe von nur 25 Metern erreicht. Sie habe erkannt, dass der in Flugrichtung befindliche Wald nicht zu übersteigen gewesen sei und eine Rückkehr versucht. Die Cessna 172 prallt auf eine Brachfläche gleich hinter der Solaranlage und wird dabei schwer beschädigt. Drei Insassen verletzen sich schwer, eine Person leicht. Die Unfalluntersucher können am Wrack weder eine Vorschädigung noch eine Funktionsstörung feststellen. 90 Liter Treibstoff finden sich in den Tanks.

Falsche Kalkulation: Die Mass & Balance-Berechnung wurde mit zwei Passagieren durchgeführt

Aus den Angaben der Insassen zu deren Körpergewicht errechnen die Ermittler Abflugmasse und Schwerpunkt: Mit 1230 Kilo lag die Masse beim Start um 187 Kilo über der MTOM von 1043 Kilo! Das entspricht 18 Prozent des erlaubten Maximalgewichts. Durch die Überladung war auch die hintere Schwerpunktgrenze deutlich überschritten.

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Die Flugzeugführerin hatte zwar eine Weight & Balance-Berechnung durchgeführt, allerdings für die ursprüngliche Besetzung mit nur zwei Passagieren. Die Kalkulation legte eine Zuladung von 354,3 Kilo zugrunde, womit die Cessna 172 bereits um 1,1 Kilo überladen gewesen wäre.

Außerhalb der Betriebsgrenzen: Die Flugleistung der Cessna 172 war deutlich beeinträchtigt

Die BFU kommt zu einem eigentlich einfachen Schluss: Der Unfall ist darauf zurückzuführen, dass das Fugzeug durch die hohe Beladung und die hintere Schwerpunktlage weit außerhalb der Betriebsgrenzen betrieben wurde. Die damit verbundenen Änderungen der Flugleistung und der Manövrierfähigkeit haben dazu geführt, dass die Maschine keine ausreichende Fahrt für den Steigflug aufbauen konnte. Ein maßgeblicher Faktor sei die kurzfristige Entscheidung gewesen, einen weiteren Passagier mitzunehmen.

Cessna 172Cessna 172
Das meistgebaute Flugzeug der Welt Von der Cessna 172 (im Bild ein baugleiches Muster der Variante N) wurden bislang mehr als 44 000 Exemplare hergestellt.

Aus den Angaben zur Pilotenerfahrung im Unfallbericht ist zu erkennen, dass die Pilotin eigentlich durchaus Erfahrung hatte im Betrieb einer voll beladenen 172 sogar von deutlich kürzeren Pisten aus. Umso mehr erstaunt es die Unfalluntersucher, dass der auffällig lange Startlauf nicht abgebrochen wurde. Weiter heißt es im Bericht, dass schon die ursprüngliche Massenberechnung „sehr optimistisch“ gewesen sei.

Die Pilotin hatte bei der Befragung durch die Ermittler die Möglichkeit erwogen, dass die Passagierin vorne rechts im Startlauf unbeabsichtigt die Bremsen betätigt haben könnte, weil der Sitz ganz nach vorne gestellt war.  Die BFU schließt dies als zusätzlichen Faktor nicht aus.

Genaue Berechnung: Realistische Passagiergewichte müssen bei der Berechnung einbezogen werden

Der Unfall zeigt deutlich, dass es nicht die Zahl der Sitze ist, die darüber entscheidet, wie viele Personen sicher in einem Flugzeug fliegen können. Bei der sorgfältigen Berechnung von Weight & Balance oder der Abschätzung aufgrund vorherigerer Berechnungen müssen realistische Passagiergewichte berücksichtigt werden – nicht Wunsch- oder Zielgewichte der Mitflieger. Ein Spielraum lässt sich oft dadurch gewinnen, dass nicht kategorisch vollgetankt wird: Bei Teilbetankung bleibt mehr „Luft“ für Passagiere oder Gepäck.

Der Crash zeigt noch etwas anderes: Die Berechnung von Weight & Balance ist nur ein Teil der Flugvorbereitung. Genauso wichtig ist die Kalkulation der Start- und Landerollstrecken sowie in der Folge am konkreten Startplatz die Abschätzung, an welcher Stelle das Flugzeug gemäß Berechnung abheben sollte. Geschieht das nicht wie erwartet, muss ein sofortiger Startabbruch erwogen werden.

Text: Thomas Borchert, erstmals erschienen im fliegermagazin 06/2019

Über den Autor
Thomas Borchert

Thomas Borchert begann 1983 in Uetersen mit dem Segelfliegen. Es folgte eine Motorsegler-Lizenz und schließlich die PPL in den USA, die dann in Deutschland umgeschrieben wurde. 2006 kam die Instrumentenflugberechtigung hinzu. Der 1962 geborene Diplom-Physiker kam Anfang 2009 vom stern zum fliegermagazin. Er fliegt derzeit vor allem Chartermaschinen vom Typ Cirrus SR22T, am liebsten auf längeren Reisen und gerne auch in den USA.

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  • Überladung
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