WISSEN

/

Korrosion am Steuerknüppel: Motorsegler kollidiert mit Baum

Beim Start versagt plötzlich die Steuerung eines Motorseglers. Fluglehrer und Flugschülerin überleben unverletzt. Eine ausführliche Unfallanalyse.

Von Martin Schenkemeyer
Baumkollision
Glück im Unglück: Die rechte Tragfläche des Scheibe "Falke" kollidiert mit einem Baum. Flugschülerin und -lehrer steigen unverletzt aus dem Wrack. Foto: BUF

Anders als bei uns Menschen merkt man in die Jahre gekommenen Flugzeugen ihr Alter bei entsprechender Pflege meist nicht an. Dass aber auch bei bester Wartung unsichtbare Alterserscheinungen zu einer Bedrohung für die Flugsicherheit werden können, zeigt ein Vorfall aus dem Oktober 2021.

An einem herbstlichen Sonntag wollen der Fluglehrer und seine Flugschülerin am Flugplatz Dierdorf-Wienau (EDRW) mit einem Motorsegler vom Typ SF 25C „Falke“ zu einem Ausbildungsflug aufbrechen. Für die Flugschülerin ist es der insgesamt vierte Schulflug im Rahmen ihrer Ausbildung zur Erlangung einer LAPL (A)-Lizenz. Bevor es in die Luft geht, erledigt die Besatzung gewissenhaft die Vorflugkontrolle, bei der es keine besonderen Auffälligkeiten gibt. Bestandteil des Checks ist auch eine Ruderkontrolle, bei der an den Steuerflächen Gegendruck ausgeübt wird, um die Kraftschlüssigkeit der Verbindung zwischen Steuerknüppel und Rudern zu prüfen.

Vor dem Flug führt die Crew gewissenhaft die Vorflugkontrolle durch

Anschließend startet die Crew den Sauer-Motor und rollt zum Abflugpunkt der Asphaltpiste 25. Um 13.22 Uhr setzt der Fluglehrer bei Windstille das Gas für den Start. Er hat während des Startlaufs die Kontrolle über das Spornrad-Flugzeug und kommentiert dabei seine Rudereingaben, während die Flugschülerin am Knüppel und in den Seitenruderpedalen „mitfühlt“.

KontrollverlustKontrollverlust
Kontrollverlust: Beim Startlauf kommt der Motorsegler nach rechts von der Grasbahn ab. Nach mehreren Bodenberührungen endet der Flug mit einem Crash.

Der Startlauf verläuft zunächst unauffällig. Nach zirka 245 Metern Rollstrecke bricht der Motorsegler auf einmal nach rechts in Richtung eines angrenzenden Grünstreifens aus. Auf die Steuereingaben des Piloten reagiert er in diesem Moment nicht mehr wie gewohnt. Der Fluglehrer verdächtigt die Flugschülerin die Steuerung zu blockieren und bittet sie alles loszulassen. Nach einer Rollstrecke von rund 335 Metern hebt die Maschine auf dem Grünstreifen rechts neben der Piste ab. Er fliegt nun flach über dem Boden und gewinnt dabei an Fahrt. Das Gelände im Bereich des Flugwegs ist abfallend. Ungefähr 125 Meter nach dem Abheben setzt der Motorsegler mit dem Hauptfahrwerk auf der Wiese auf und hebt sofort wieder ab.

Crash mit Baum: Der Falke reagiert nicht mehr auf die Steuereingaben

Der Fluglehrer geht zunächst davon aus, dass der Falke noch nicht genug Fahrt aufgebaut hatte. Ein Startabbruch ist zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich, da er unweigerlich zu einer Kollision mit dem vorausliegenden Wald führen würde. Kurze Zeit später senkt das Flugzeug seine Nase abermals ab, berührt die Wiese erneut und steuert nun auf einen Baum zu. Spätestens jetzt wird dem Piloten klar, dass er die Kontrolle verloren hat. Mit Vollausschlägen versucht er einen Zusammenstoß mit dem Baum zu verhindern. Dabei schlägt der Motorsegler hart auf, die Propellerspitzen berühren den Boden und die rechte Tragfläche kracht in den Baum. Nach einer 180-Grad-Drehung um die Hochachse kommt die Maschine auf einem Feldweg zum Stillstand. Wie durch ein Wunder überstehen beide Insassen den Unfall unverletzt.

Die anschließende Unfalluntersuchung wurde aus Befangenheitsgründen von der deutschen Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) an die Schweizerische Sicherheitsuntersuchungsstelle (SUST) delegiert. Die Behörde hat in einem Zwischenbericht erste, aber bereits eindeutige Erkenntnisse zum Vorfall veröffentlicht.

Steuerknüppel gebrochen: Die Bruchstelle war deutlich korridiert

So fanden die Ermittler bei der Untersuchung des Wracks heraus, dass der rechte Steuerknüppel des Fluglehrers oberhalb einer Schweißnaht gebrochen war. Die Bruchstelle war dabei deutlich korrodiert und das Innere des Steuerknüppels wies ebenfalls starke Korrosion auf. Sowohl Knüppel als auch Gestänge wurden seinerzeit aus Baustahl der Güte St 35 gefertigt. Dieser ist gut schweiß- und umformbar. Zeitgleich ist er aber anfällig für Korrosion und benötigt einen entsprechenden Oberflächenschutz, um diese zu verhindern.

KonstruktionKonstruktion
Folgenreiche Konstruktion: Die Steuerung ist so gebaut, dass nach dem Bruch des rechten Knüppels mit dem linken das Höhenruder nicht mehr bewegt werden konnte.

Aufgrund der Konstruktion der Steuerung konnte das Höhenruder auch mit dem verbleibenden Steuerknüppel der Flugschülerin nicht mehr betätigt werden. Lediglich das Querruder blieb von der linken Seite aus weiter steuerbar.

Gepflegtes Checkheft: Sämtliche geforderte Wartungen wurden durchgeführt

Der verunfallte Motorsegler wurde 1977 gebaut und ist seit dem 8266 Stunden in der Luft gewesen. 20 660 Landungen hatte er bis zum Unfallzeitpunkt auf dem Buckel. Sämtliche vorgeschriebenen Wartungen und Kontrollen wurden gemäß Herstelleranweisungen durchgeführt. Diese beinhalteten jedoch keine explizite Überprüfung der Steuerorgane auf Korrosion.

LESEN SIE AUCH
Wartungsarbeiten
Wissen

Wartung: Vorsorglich oder voreilig?

Weitere Recherchen der SUST bestätigten dies. Zwar gibt es für einzelne Segelflugmuster wie etwa Ka 8 und ASK 21 Technische Mitteilungen, welche eine mögliche Korrosion im Bereich der Steuergestänge adressieren, für das Unfallmuster jedoch nicht. Außerdem heben die Schweizer Unfalluntersucher hervor, dass es zwar allgemeine Bekanntmachungen für die Instandhaltung und Prüfung älterer Luftfahrzeuge in Deutschland gibt (zum Beispiel NfL II 6/12). Diese lassen aber offen, wie Prüfungen auf Riss- und Korrosionsbildung des Korrosionsschutzes durchgeführt werden sollen.

Optische Kontrolle unmöglich: Ein Einblick ins Innere ist nur mit Endoskop möglich

Beim Unfallmuster werden diese ohnehin dadurch erschwert, dass die Enden des gebrochenen Stahlrohres zugeschweißt sind, wodurch ein Einblick ins Innere verwehrt bleibt. In solchen Fällen bieten sich spezielle Untersuchungsmethoden an, wie beispielsweise mit einem Endoskop, das durch eine Bohrung in das Stahlrohr eingeführt werden könnte.

SchadenSchaden
Durchgerostet: An der Schweißnaht ist das Rohr von innen korrodiert. Nur mit Spezialwerkzeug wäre der Schaden erkennbar gewesen.

Aufgrund nicht ausreichend definierter Prüfmethoden und der Annahme, dass auch bei anderen Flugzeugen des Typs SF 25C Korrosion zum Problem werden könnte, hat die SUST eine Sicherheitsempfehlung (Nr. 581) veröffentlicht. Gemäß dieser sollte die European Union Aviation Safety Agency (EASA) gemeinsam mit dem Hersteller des Motorseglers, Scheibe Aircraft, Maßnahmen erarbeiten, die ein erneutes Brechen von korrodierten Steuerorganen verhindern.

Vielzahl an Überprüfungen: Nach dem Vorfall hat der Hersteller einige Steuerungen überprüft wurden

Scheibe Aircraft hatte nach dem Vorfall eine entsprechende Technische Mitteilung veröffentlicht. Der Hersteller gab außerdem bekannt, dass nach dem Vorfall eine Vielzahl von Steuerungen überprüft wurden. Bei keinem einzigen der überprüften Flugzeuge konnte laut Scheibe nennenswerte Korrosion im Bereich der Steuergestänge festgestellt werden.

Der Vorfall zeigt, dass auch noch so gewissenhaft ausgeführte Wartungsarbeiten einen nicht vor technischem Versagen schützen. So ist man als Besatzung selbst bei kleinsten Ungereimtheiten während des Startlaufs gut beraten, diesen sofort abzubrechen und der Ursache akribisch auf den Grund zu gehen.

Text: Martin Schenkemeyer

Über den Autor
Martin Schenkemeyer

Martin Schenkemeyer begann im Jahr 2007 mit dem Segelfliegen. Inzwischen ist er ATPL-Inhaber und fliegt beruflich mit Businessjets um die ganze Welt. In seiner Freizeit ist er als Vorstand seines Luftsportvereins tätig und fliegt an seinem Heimatflugplatz Bad Pyrmont Segelflugzeuge, Ultraleichtflugzeuge und Maschinen der E-Klasse. Für das fliegermagazin ist der Fluglehrer seit 2020 als freier Autor tätig und beschäftigt sich hauptsächlich mit Themen rund um die Flugsicherheit.

Schlagwörter
  • Motorsegler
  • Korrosion
  • Baumkollision
  • Kontrollverlust
  • Steuerknüppel
  • Unfallanalyse