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Vergaservereisung: Wie geht ein Pilot das Problem an?

Gerade in der feuchtkalten Jahreszeit kann Vereisung im Ansaugtrakt des Motors zu Problemen führen. Sie müssen rechtzeitig erkannt und behoben werden.

Von Thomas Borchert
Vergaservereisung
Eismaschine: Im Vergaser verengt sich der Ansaugtrakt, wodurch Unterdruck entsteht. Das kann die Luft unter den Gefrierpunkt abkühlen – die in ihr ent- haltene Feuchtigkeit schlägt sich als Eis nieder und behindert den Luftstrom. Foto: Federal Aviation Administration

Es ist ein schöner Sommertag, wenn auch schwülwarm mit hoher Luftfeuchte. Auf dem Rückflug von den Nordseeinseln geht plötzlich die Drehzahl zurück, ohne dass der Pilot irgendetwas an der Leistung geändert hat. Dann beginnt der Motor, rau zu laufen. Was ist da los?

Bei T-Shirt-Wetter knapp unter 30 Grad denken viele Piloten nicht an die wahrscheinlichste Ursache, wenn es sich um einen Vergasermotor handelt: Vergaservereisung! Bis zu 35 Grad und mehr kann der im Vergaser prinzipbedingt verursachte Temperatursturz im Benzin-Luft-Gemisch ausmachen. Am wahrscheinlichsten ist Vergaservereisung allerdings bei Temperaturen unter 20 Grad und einer Luftfeuchte von mehr als 80 Prozent. Aber selbst bei bis zu 38 Grad und nur 50 Prozent Luftfeuchte kann sich Eis im Vergaser bilden. Doch was passiert da eigentlich genau – und wie geht man als Pilot das Problem an?

Vergaservereisung: Nur Flugmotoren mit Schwimmervergaser sind betroffen

Betroffen können nur Flugmotoren mit Schwimmervergaser sein – Einspritzer sind fein raus. Das Funktionsprinzip des Vergasers macht ihn zur Kältemaschine: Die angesaugte Luft durchströmt ein Rohr, das eine Verengung hat. Sie sorgt aufgrund des Venturi-Effekts für einen Unterdruck, der genau an dieser Stelle das Benzin aus einer Düse in den Luftstrom saugt und dabei „vergast“, also verdunstet: So entsteht das für die Verbrennung in den Zylindern erforderliche Benzin-Luft-Gemisch.

Zum einen sorgt der verringerte Druck an dieser Stelle für eine Abkühlung des Gemischs. Zum anderen senkt die Verdunstung des Treibstoffs die Temperatur. Beides zusammen kann das Gemisch unter den Nullpunkt abkühlen. Ist dann genug Wasserdampf in der Luft vorhanden, kann sich dieser als Eis an den Wänden des Ansaugtrakts und an der Drosselklappe niederschlagen.

Eisansatz: Jedes Flugmuster reagiert anders

Wird der Eisansatz stark genug, behindert er die Versorgung der Zylinder mit Gemisch, die Motorleistung sinkt. Bei Flugzeugen mit festem Propeller verringert sich dadurch die Drehzahl. Verstellprops reagieren anders: Die Drehzahl wird durch den Constant-Speed-Mechanismus weiter konstant gehalten, aber der Ladedruck sinkt. Irgendwann folgt dann rauer Motorlauf und womöglich sogar der Stillstand des Triebwerks.

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Manche Flugzeugmuster sind anfälliger für Vergaservereisung als andere. Das kann zum Beispiel davon abhängen, wie nahe der Vergaser am warmen Motor liegt. Auch auf die Flugphase kommt es an: Bei geringer Leistung zum Beispiel im langen Sinkflug ist die Gefahr besonders groß.

Durch Vergaservorwärmung kann Vereisung vorgebeugt werden

Doch der Pilot kann schon früh reagieren: Wenn die Leistung aus scheinbar unerklärlichen Gründen abfällt, kommt Vergaservereisung als Ursache in Frage. Ob sie tatsächlich vorliegt, kann einfach geprüft werden: durch Einsatz der Vergaservorwärmung mit Hilfe eines Hebels im Cockpit. Sie wärmt die Ansaugluft auf, bevor sie den Vergaser erreicht, sodass keine Vereisung mehr auftritt. Meist wird dabei die Luft durch einen Wärmetauscher am Auspuff geleitet. Es gibt einige Flugzeugmuster ohne Vorwärmung: Bei ihnen hat der Hersteller im Verlauf der Zulassung nachgewiesen, dass Vereisung nicht vorkommt, weil zum Beispiel der Vergaser so nah am Motor eingebaut ist, dass er stets warm genug bleibt.

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Der Effekt nach dem Ziehen der Vergaservorwärmung ist erstmal beunruhigend: Drehzahl oder Ladedruck sinken! Der Grund: Die wärmere Luft ist dünner, das Gemisch wird fetter und enthält weniger Sauerstoffmoleküle, die verbrannt werden könnten. Nun gilt es, die Nerven zu behalten: Liegt eine Vereisung vor, wird das wärmere Gemisch das Eis abschmelzen. Das kann einige Minuten dauern, in denen der Motor vielleicht sogar noch unrunder läuft, weil das getaute Wasser die Brennräume passiert. Jetzt darf auf keinen Fall die Vorwärmung wieder abgeschaltet werden. Denn irgendwann steigen Drehzahl beziehungsweise Ladedruck wieder an – allerdings nicht auf den ursprünglichen Wert, weil die Leistung wegen der wärmeren Ansaugluft immer noch reduziert ist.

Nicht lange Warten: Mit gelegentlicher Vorwärmung prüfen, ob Eisansatz vorliegt

Liegt dagegen keine Vereisung vor, bleibt die verringerte Leistung konstant. Durch diesen Unterschied kann man beim gelegentlichen Ziehen der Vorwärmung prüfen, ob es Eisansatz gibt. Das ist immer dann sinnvoll, wenn die Wetterbedingungen eine Vereisung wahrscheinlich machen. Auf keinen Fall sollte zu lange gewartet werden, wenn die Motorleistung erst einmal nachlässt: Irgendwann reicht die Wärme am Auspuff des versagenden Motors womöglich schon nicht mehr aus, um das Eis zu schmelzen.

Vor Beginn einer längeren Flugphase mit reduzierter Leistung sollte rechtzeitig die Vergaservorwärmung aktiviert werden. Auch kann man dann in regelmäßigen Abständen immer wieder für einen Moment Gas geben, um die Leistungsannahme zu prüfen und wieder mehr Motorwärme zu erzeugen. Braucht man dagegen volle Leistung, etwa beim Start oder bei der Landung, wenn ein Durchstartmanöver erforderlich sein könnte, muss auf die Vorwärmung verzichtet werden. Ist sie im Reiseflug längere Zeit erforderlich, kann man sich einen Teil der verlorenen Leistung zurückholen, indem man das Gemisch weiter abmagert und so der erhöhten Lufttemperatur anpasst. Dazu beginnt man den üblichen Lean-Prozess am besten noch einmal von vorne.

Sinnvolle Vorwärmung: Ansauglufttemperatur im Blick behalten!

Die erhöhte Ansauglufttemperatur lässt alle Temperaturen im Motor ansteigen – sie müssen also im Blick behalten werden. Eine teilweise Aktivierung der Vorwärmung ist eigentlich nur dann sinnvoll, wenn das Flugzeug mit einer Anzeige für die Vergasertemperatur ausgestattet ist – ansonsten könnte die teilweise Erwärmung den Eisansatz sogar verstärken, weil die Luft in einen Temperaturbereich kommt, der mehr Eis erzeugt.

Sommerliche FeuchteSommerliche Feuchte
Sommerliche Feuchte: Enthält die Luft viel Wasserdampf, ist Vergaservereisung selbst bei relativ hohen Außentemperaturen möglich

Die Anzeige hat meist einen gelben Gefahrenbereich, der von plus 5 Grad Celsius bis minus 15 Grad Celsius reicht. Mit Hilfe des Instruments und der Vorwärmung lässt sich die Temperatur außerhalb dieser Grenzen halten, wenn das Wetter eine Vereisung wahrscheinlich macht.

Flughandbuch folgen: Überprüfen Sie die Funktion der Vorwärmung am Rollhalt

Grundsätzlich sollte man beim Einsatz der Vergaservorwärmung den Anweisungen im Flughandbuch folgen. Ein Check der Funktion am Rollhalt ist sinnvoll: Wenn der Pilot die Motorleistung ohnehin für den Magnetcheck erhöht hat, kann er kurz die Vergaservorwärmung einschalten. Dann fällt die Drehzahl leicht ab, wenn die Anlage funktioniert.

Natürlich kann ein Leistungsrückgang im Flug viele Ursachen haben. Liegt es nicht am Vergaser, müssen andere Gründe geprüft werden. So groß die Versuchung ist: Auf keinen Fall sollte es der Pilot ignorieren und einfach ein wenig Gas nachschieben, wenn die Drehzahl im Flug um 100 oder 200 rpm sinkt oder der Ladedruck ein oder zwei inch Hg geringer wird. Vielleicht ist ja die Eismaschine im Motorraum am Werk.

Text: Thomas Borchert, erstmals erschienen in fliegermagazin 01/2019

Über den Autor
Thomas Borchert

Thomas Borchert begann 1983 in Uetersen mit dem Segelfliegen. Es folgte eine Motorsegler-Lizenz und schließlich die PPL in den USA, die dann in Deutschland umgeschrieben wurde. 2006 kam die Instrumentenflugberechtigung hinzu. Der 1962 geborene Diplom-Physiker kam Anfang 2009 vom stern zum fliegermagazin. Er fliegt derzeit vor allem Chartermaschinen vom Typ Cirrus SR22T, am liebsten auf längeren Reisen und gerne auch in den USA.

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