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Flugplatz Avranches – LFRW

Gleich neben einer der größten Touristenattraktionen der Normandie liegt der Flugplatz Avranches – ein Geheimtipp unter Frankreich-Fliegern

Von Redaktion

Jede französische Kleinstadt, die etwas auf sich hält, hat ein Aérodrome – oft noch aus der Pionierzeit der Luftfahrt. Der 9200-Seelen-Ort Avranches, gleich östlich vom Mont Saint Michel nahe der Mündung des kleinen Flusses Sélune gelegen, macht da keine Ausnahme. Als wir zuletzt vor 29 Jahren auf der Graspiste landen wollten, waren Schafe im Weg; ansonsten fühlten wir uns bei den gallischen Fliegern hochwillkommen. Daran hat sich nichts geändert. Öffnungszeiten oder Gebühren gibt es immer noch nicht; solange das Wetter passt, wird geflogen. Avranches ist ein Sonderlandeplatz, deshalb muss man sich vor der Landung telefonisch anmelden. Das Gelände ist im Frühjahr und Herbst im Schnitt zirka 15 Tage wegen Überflutung geschlossen. Der Flugbetrieb wird dann nach Granville verlegt, ein Platz etwas weiter nördlich an der Normandie-Küste. Avranches, das ist Barnstormer-Feeling pur. Ein Aérodrome mit Graspiste im Dornröschenschlaf. Der Flugplatz wurde 1934 gegründet und „Aéroclub des Grèves“ genannt.

Grèves heißt so viel wie Strand, da die Piste im Überflutungsgebiet der Bucht liegt. „Macht nichts“, brummt Roger, ein Pilot aus dem nördlich gelegenen Granville. „Wenn die Schafe wieder da sind, kann man auch fliegen.“ Bei Überschwemmung lässt sich an der Fliegerbar im höher gelegenen Clubhaus bei einem Pastis von großen Taten träumen. Mancher der heimischen Piloten schraubt aber lieber am eigenen Flieger – so wie Alain an seiner selbstgebauten DR 1053. Der Hangar sieht etwas museumsreif aus, er stammt aus der Vorkriegszeit – aber von einem anderen Flugplatz. „Die Deutschen haben im Krieg Clubhaus und Hallen demontiert“, sagt Alain. „Später haben sich die Piloten gebrauchte Hangars organisiert.“ Ein Clubhaus aus der Nachkriegszeit brannte vor vielen Jahren ab. Heute steht ein weiß gestrichener Neubau an seiner Stelle. Die ältere Dame hinterm Tresen von unserem letzten Besuch scheint noch immer da zu sein. Denken wir jedenfalls. Tatsächlich schiebt heute ihre Tochter Dienst.

Avranches: Der Flugplatz wurde 1934 gegründet und „Aéroclub des Grèves“ genannt

Alain ist seit acht Jahren hier und als einer von drei Fluglehrern stolz darauf, dass in Avranches so viel geflogen wird. Zwei Robin DR400 und ein schmucker Spornrad-Tiefdecker, eine CP305 Emeraude, stehen in den Hallen. „Wir sind rund 100 Clubmitglieder“, sagt Alain. „Manchmal fliegen wir über 900 Stunden im Jahr.“ Bei den saftigen Spritpreisen eine stolze Zahl. „Ich zeig Euch den Felsen aus der Luft“, verspricht der 62-jährige Alain fröhlich. Gemeint ist natürlich der Mont Saint Michel. Der „heilige Berg“ liegt am Südwestzipfel der Normandie in einer malerischen Bucht direkt am Jakobsweg. Er ist eine Touristenattraktion ersten Ranges und UNESCO-Weltkulturerbe. Der Berg hat nur etwa 830 Meter Umfang und liegt ziemlich genau an der Grenze zur Bretagne, im Bezirk Manche an der Kanalküste, etwa 46 Meter über dem Wattenmeer.

Lebende Rasenmäher: Schafe bei der Flugplatzpflege (Foto: Rolf Stünkel)

Die Türme des Benediktiner-Klosters, das auf den Mauern eines älteren Sakralbaus aus dem Jahre 708 errichtet wurde, ragen bis zu 80 Meter über dem Meeresspiegel in die Höhe. Ein schmaler Damm führt vom Festland zu der wehrhaften Anlage herüber. Heute lebt hier etwa ein Dutzend Mönche; sie teilen sich ihr Refugium mit jährlich über drei Millionen Touristen. Ohne Hektik macht Alain seine Checks, dann hoppeln wir in unserer Robin zur Grasbahn und sind Augenblicke später über Wiesen und Watt; der Pilot nimmt Kurs auf den Felsen. Wir umrunden ihn in einigem Abstand: Ein kleines Sperrgebiet um das Kloster reicht bis in 3000 Fuß Höhe und hält allzu neugierige Flieger auf Distanz. Unten sind Wattwanderer zu erkennen, sie pilgern gerade zum heiligen Berg. Was für ein Anblick! Zu Fuß geht man am Felsen die engen Gassen spiralförmig nach oben.

Mont Saint Michel: Ein schmaler Damm führt vom Festland zu der wehrhaften Anlage herüber

Viele Säle, Wandelhallen, Gänge und Gewölbe bieten genügend Raum zur Besinnung; nur selten taucht einmal ein leibhaftiger Mönch in brauner Kutte auf. Am schönsten ist der Blick von den Zinnen und Mauervorsprüngen. Aus der Möwen-Perspektive sieht man weite Küstenstriche von Normandie und Bretagne. Gleich westlich des Felsens beginnen die Buchten und Feriendörfer der Bretagne, hier und da garniert mit Mini-Flugplätzen wie Avranches. Im Norden erstrecken sich die lange Küste der Normandie und die britischen Kanalinseln, im Süden breitet sich das französische Festland bis zum Horizont aus. Feinste Leckereien kommen aus dem äußersten Nordwesten Frankreichs, darunter viele der über 300 Käsesorten, die würzige Andouille-Wurst und der edle Calvados aus dem gleichnamigen Bezirk.

Längst sind manche der typischen Natur- und Sandsteinhäuser in englischer oder auch deutscher Hand – nicht aber die kleinen Schlösschen im Normannen-Stil oder die vielen Kneipen und Bistros. Und in den Sommerferien werden auch Dörfer und Strände überwiegend von Franzosen bevölkert. Man urlaubt eben gern im eigenen Land und ist heute noch stolz drauf, dass ausgerechnet ein Normanne, Wilhelm der Eroberer, nach der Schlacht bei Hastings 1066 mit viel Pomp in der Westminster Abbey zum König der Engländer gekrönt wurde. Zurück in der Normandie des 21. Jahrhunderts: Trotz vieler Sightseeing-Flüge am Mont Saint Michel geht es im Funk entspannt zu. Wer mag, kann mit Dinard Approche plaudern und seine Position durchgeben.

Trotz vieler Sightseeing-Flüge am Mont Saint Michel geht es im Funk entspannt zu

Den Felsen haben wir inzwischen umrundet; wir sind schon wieder in der „Etape de Base“, dem Queranflug. Sanft setzt der Tiefdecker auf und rollt zum Clubhaus zurück. Dankeschön, Alain – nun ist Zeit für einen Café. An der Fliegerbar nickt uns ein älterer Mann freundlich zu. „Saint-Ex war hier“, raunt er herüber. Die Dichterlegende Antoine de Saint-Exupéry? „Exactement, Monsieur.“ Der Alte zeigt auf das dicke Hauptflugbuch auf einer Kommode. Nach wenigen Augenblicken haben wir das Jahr 1937 aufgeschlagen, und dort steht gut lesbar der Name des Dichterpiloten – wenn auch vom diensthabenden Flugleiter nicht ganz korrekt geschrieben: gelandet am 20. August 1937 mit seiner Caudron C635 Simoun, Kennzeichen F-ANXK. Diese 220 PS starke, 300 km/h schnelle Maschine hatte „Saint-Ex“ damals gerade erworben. Im folgenden Jahr flog er damit nach Deutschland.

Im Clubheim hängen alte Fotos. Dem vergilbten Flugplatzbuch aus den dreißiger Jahren lässt sich entnehmen, dass hier schon früh geschult wurde. Der erste Flugzeugtyp: eine 95-PS-Caudron 232. Nur eine Seite findet sich zwischen der Schließung 1939 und der Wiedereröffnung nach dem Krieg. Seitdem lief der Flugbetrieb fast durchgehend. „Unsere Charterpreise sind in den vergangenen Jahren kaum gestiegen“, sagt Alain. Im Club hofft man, dass der Spritpreis nicht mehr steigt: Sonst müsste man womöglich die robusten alten Tiefdecker gegen neues UL-Gerät eintauschen – ein Traditionsbruch. „Rundflüge mit einem UL?“, Alain schüttelt den Kopf und rührt verträumt in seinem Café noir. Draußen wirft gerade jemand einen alten Motor an – die Welt ist hier noch in Ordnung. Avranches, wir kommen wieder. Nicht erst in 29 Jahren.

Avranches – Tipps und Infos

  • So kommt man hin: Der Anflug ist hindernisfrei, die Stadt Avranches aber zu meiden. Kommt auf der Sammelfrequenz 123.5 MHz kein Kontakt zustande, fliegt man nach lokaler Konvention in 1500 Fuß über den Platz, um zu sehen, ob eine Landung möglich ist. Funkhilfen: „DIN“ VOR 114.30 Radial 085/22 DME
  • Unterkunft: Hotel Ibis Avranches Baie Du Mont Saint Michel, Telefon 0033 (233) 89 64 89
  • Aktivitäten: Sehenswert ist die Altstadt von Avranches (knapp 9300 Einwohner) mit ihrer Kirche Saint Gervais, in der der Schädel des Gründers von Mont Saint Michel (Saint Aubert) aufbewahrt wird. Ebenfalls einen Besuch lohnt das Stadtmuseum, der botanische Garten und die Schlossruine aus dem 10. Jahrhundert. Touristenbüro: www.ville-avranches.fr (in deutscher Sprache)

Text: Rolf Stünkel, fliegermagazin 5/2009