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Flugplatz Jezów Sudecki/Grunau – EJPS

Hier wurde Geschichte geschrieben: die ersten Flüge im Wellenaufwind, 
Höhenrekorde, Dauerflüge, F-Schlepps. Grunau im einstigen Niederschlesien ist legendär – ein faszinierendes Ziel auch für Motorflieger 


Von Peter Wolter

Es geht! Von Prag kommend war es immer gewittriger geworden, Nimbus-Türme standen über dem Riesengebirge, die Schneekoppe war in Wolken, und ich wusste nicht, ob die Berge weiter nördlich eingehüllt wären. Vor allem: der Berg, auf dem ich landen wollte. Doch jetzt lag er links unter mir. Aber in welche Richtung landen? Am Funk rührte sich niemand. Der Windsack auf dem Mast in Gipfelnähe stand horizontal, es bließ stramm aus Süden. Die Hauptlandebahn verläuft von Ost nach West, aber bei diesem Seitenwind … Nach Norden hin fällt der Berg zwar steiler ab, doch die Kontur ist so sanft gekrümmt, dass die Strömung eigentlich nicht abreißen kann. Ein gesundes Lee. Also von Norden her runter in die Schneise zwischen dem Wald, mit viel Überfahrt abfangen, am Hang hochziehen – und fast wäre ich nach dem Aufsetzen hängen geblieben. Vollgas!

Wenig später war ich oben auf der Betonfläche vor dem alten Grunauer Hangar. Und allein. Perfekt. „Jezów Sudecki“ – da reagieren Piloten mit Achselzucken. „Grunau“ – und jeder weiß Bescheid. Das niederschlesische Dorf war für die Entwicklung des Flugsports so wichtig wie die Wasserkuppe. Manche sagen, sogar wichtiger: Bis Ende des Zweiten Weltkriegs wurden hier mehr Segelflieger ausgebildet, als an irgendeinem anderen Schulgelände. Doch dann verwandelte sich Grunau für Flieger aus dem Westen immer mehr zum Mythos. „Schlesien“, „Riesengebirge“, „Schneekoppe“ – irgendwie klang das alles wie „Atlantis“, nach einer fernen Welt, von der die Jüngeren nicht mal mehr genau wussten, wo sie versunken war, wenn es sie überhaupt jemals gegeben hatte.

Bis Ende des Zweiten Weltkriegs wurden hier mehr Segelflieger ausgebildet, als an irgendeinem anderen Schulgelände

Aber da waren die Erzählungen alter Piloten, die Bücher, die Fakten: Schon 1921, ein Jahr nach dem ersten Rhön-Segelflugwettbewerb, wurde am Galgenberg oberhalb des niederschlesischen Dorfs geflogen. 1923 waren Gottlob Espenlaub und Edmund Schneider nach Grunau gekommen. „Espe“, ein begnadeter Schrauber, flickte die Segler der einheimischen Piloten. Er gehörte zu den Pionieren des F-Schlepps und führte einen der ersten Flüge mit Raketenantrieb durch. Sein schwäbischer Landsmann Schneider begann 1931 in Grunau, das wohl populärste Segelflugzeuge der Welt zu fertigen, das Grunau Baby. Der dritte Grunauer Schwabe war Wolf Hirth, Wettbewerbs-Ass, Rekordpilot und Konstrukteur. Hirth leitete von 1931 bis 33 die „Klubschule für Segelflugsport Grunau“.

Barockbau: Das Rathaus gehört zu den Sehenswürdigkeiten des früheren Hirschbergs (Foto: Peter Wolter)

Als Erster erforschte er im Flug jene Aufwindquelle, die für Segelflieger außerordentlich wichtig werden sollte: die „lange Welle“. Man hatte ihm von einer Wolke berichtet, die sich bei Südwind zwischen Schneekoppe und Hirschberg (Jelenia Góra) bildete, aber ihre Position nicht veränderte. Der Sage nach war das Phänomen dem Landwirt Gottlieb Motz als Erstem aufgefallen, und so erhielt die Wolke den schlesischen Namen Moatzagotl. Am 18. März 1933 ließ sich Hirth vom Hirschberger Platz aus zu einem anderen Piloten in den Aufwind schleppen. Nach dem Ausklinken begann er, Stärke und Ausdehnung des Aufwindfelds zu vermessen. Hirth war die Bedeutung des Wellenaufwinds sofort klar, sowohl für den Dauer- als auch für den Streckenflug.

Das niederschlesische Dorf war für die Entwicklung des Flugsports so wichtig wie die Wasserkuppe

Grunau wurde zum Dorado für die Jagd auf „Höhendiamanten“ (mindestens 5000 Meter Höhengewinn), 10 400 Meter MSL beträgt die größte jemals erreichte Höhe in der Moatzagotl-Welle. Über die fliegerischen Aktivitäten vor Ort weiß wohl kaum jemand besser Bescheid als Stanisław Błasiak. Der pensionierte LOT-Kapitän ist 1963 zum ersten Mal in Jezów Sudecki geflogen. Er zeigt mir das Gebäude der ehemaligen Reichssegelflugschule, in der heute ein kleines Luftfahrtmuseum und ein Modellbau-Club untergebracht sind. Gemeinsam fahren wir auch zum Segelflugzeughersteller SZD am ehemaligen Firmensitz des „Edmund Schneider Flugzeugbau Grunau“. Schneiders erste Werkstatt wird immer noch genutzt.

Seltsam: Negativformen und CfK-Teile, wo einst Grunau Baby, Moatzagotl und andere Holzflugzeuge entstanden – als ob jemand Anti-Viren-Software in einer Burg entwickelt. In seinem Haus weiter unten im Dorf hat Stanisław den Keller als Luftfahrtmuseum eingerichtet. Bücher, Zeitschriften, Fotos – der 71-Jährige sammelt Dokumente über die Fliegerei in Polen, mit Vorliebe über jene am Galgenberg, der heute erfreulicherweise Góra Szybowcowa heißt: Fliegerberg. Stanisław erzählt, dass Wernher von Braun in Grunau Segelfliegen gelernt habe, ebenso Hanna Reitsch, eine Hirschbergerin. Peter Riedel, Wolfgang Späte, Elly Beinhorn, Walter Blume – viele große Namen stehen in den Listen der Segelflugschule Grunau, die Stanisław besitzt.

Flugplatz Jelenia Góra: Wenn der Galgenberg in Wolken steckt, landet man hier. Auch zur Einweisung (Foto: Peter Wolter)

Die Infrastruktur auf dem Berg, erklärt er, habe bis 1983 ganz anders ausgesehen. Damals waren bei einem Brand der Turm, ein Hangar und ein Werkstattgebäude zerstört worden. Die Form des heutigen Hotels ist dem alten Turm nachempfunden. Der einzige noch stehende Hangar wurde 1929 in Betrieb genommen. Auch oben am Stangenberg, nordwestlich des Galgenbergs, gab’s mal einen Hangar, bis 1960. An der berühmten Soaringkante hatten Scharen von Segelfliegern fünf Stunden und länger für ihre „Silber-C“ ausgeharrt. Heute sieht man auf dem Berg nur noch selten Segelflugzeuge, eigentlich nur bei Veranstaltungen wie zuletzt im Juni beim internationalen Grunau-Baby-Treffen. Der Flugbetrieb des Aeroklub Jeleniogórski findet im Tal statt, auf dem Platz von Jelenia Góra.

Hier sollte man landen, bevor man zum ersten Mal den Grunauer Berg anfliegt. Gemeinsam mit einem Clubmitglied geht’s dann rauf zur Einweisung. Gelandet wird grundsätzlich hangaufwärts von Ost nach West. Wahrscheinlich hätte das auch bei meiner Landung funktioniert, aber Gegenwind war mir lieber. Startrichtung ist Ost, bei Westwind eignet sich auch die nach Nordwesten abfallende Schneise. Gut, die Landung hat also geklappt – was macht man nun an diesem Ort? Für Piloten ist natürlich das kleine Grunauer Luftfahrtmuseum interessant. Oder man sieht sich Jelenia Góra mit seinen eindrucksvollen historischen Gebäuden an. Südlich davon erstreckt sich der Nationalpark, in dem die Schneekoppe liegt, mit 1603 Metern der höchste Gipfel des Riesengebirges.

Grunau wurde zum Dorado für die Jagd auf „Höhendiamanten“ – mindestens 5000 Meter Höhengewinn

Wer ihn nicht erwandern will, kann die Seilbahn nehmen, deren Talstation in Pec pod Snezkou liegt. Aber das sind alles Nebenschauplätze. In Grunau geht es um den Fliegerberg und die Geschichten drumherum. Von denen ahnen wahrscheinlich die wenigsten Ausflügler etwas, wenn sie zum Picknick auf den Góra Szybowcowa kommen und den Blick nach Süden auf Jelenia Góra und das Riesengebirge genießen. Pärchen liegen im Gras, Kinder spielen auf dem gepflasterten Segelflug-Startstreifen, Modellflieger jagen ihre Hightech-Flitzer übers Plateau. Doch am schönsten ist es hier oben früh morgens und abends, wenn keiner da, aber alles präsent ist, was die Magie dieses Berges ausmacht – wie jetzt vor dem Rückflug, kurz nach Sonnenaufgang.

fliegermagazin 12/2014