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Die Tücken der Technik: Mit fünf Cessna 172 durchs Baltikum

Manchmal entstehen am Stammtisch sogar richtig gute Ideen: Eine Gruppe von 14 Flugbegeisterten mit drei Fluglehrern entscheidet sich für einer Tour durch Polen und Litauen. Nicht immer spielen Wetter und Technik mit.

Von Redaktion
In Formation - die Gruppe über Masuren beim Flug in Richtung Litauen. Die fünfte Cessna befindet sich rechts neben dem Fotoflugzeug.
In Formation - die Gruppe über Masuren beim Flug in Richtung Litauen. Die fünfte Cessna befindet sich rechts neben dem Fotoflugzeug. Bild: Lutz Lohse

Alle Vorbereitungen sind abgeschlossen. Fünf Cessna 172 stehen auf dem Vorfeld des Verkehrslandeplatzes Chemnitz/ Jahnsdorf (EDCJ). Auch das Wetter ist super. Vorfreude – gleich geht es los. Doch was ist das? Ich sehe einen dunklen Fleck unter dem Bugrad. Nur ein Schatten? Nein, es ist Hydrauliköl aus dem Bugradstoßdämpfer. Im Hangar war der noch trocken. Doch jetzt, kurz nach dem Rausschieben senkt sich die Maschine langsam auf das Rad. Auch eine spontane Reparatur erscheint aussichtslos, denn es ist Feiertag. »Zum Glück ist das nicht unterwegs passiert«, denke ich. Der Flug durch Litauen und Polen scheint für mich und meinen Co Eckart gelaufen. Denn die anderen Maschinen sind mit je drei Personen plus Gepäck randvoll beladen.

Aber der Inhaber der Flugschule, Gregor Stahnke, gibt so schnell nicht auf. Eine kürzlich von ihm verkaufte Cessna befindet sich noch hier im Hangar. Ein Telefonat später ist klar: Wir dürfen die Maschine chartern. Schnell packen wir unsere Sachen um, die Freude ist groß. Mit nur wenigen Minuten Verspätung geht es los. Gemeinsam mit den drei Fluglehrern Philipp, Roman und Gregor startet unsere Gruppe auf die erste Etappe nach Danzig. Die Flugrouten haben die drei zuvor über die App ForeFlight geteilt.

Vorflugcheck nicht bestanden: Der Dämpfer des Bugrads verliert Öl, sodass die Crew die Reise in einer Ersatzmaschine antreten muss.
Bild: Lutz Lohse

Die Crews brauchen nur noch ihr Flugzeugmuster zu wählen und persönliche Daten einzutragen. Danach kann der Flugplan abgeschickt werden. Allerdings: Für VFR-Pläne gibt es keine Zustellbestätigung. Ein Anruf bei AIS bringt Klarheit: Alle Flugpläne sind angekommen und verarbeitet. Wir fliegen im lockeren Verband mit Staffelung. Da wir mehrere erfahrene Formationsflieger unter uns haben, können wir zeitweise auch echten Formationsflug üben. Dauerhaft ist uns das allerdings zu anstrengend. Wir haben abgesprochen, dass die jeweilige Führungscrew den Funkverkehr für alle übernimmt, wobei natürlich jedes Flugzeug mithört.

In Formation mit der Cessna 172 nach Danzig

Das ist für alle Beteiligten eine echte Erleichterung, man muss aber relativ eng zusammenbleiben, damit ATC mitspielt. Zusätzlich nutzen wir die Bord-Bord Frequenz. Auch hier spielt sich eine gute Funkdisziplin ein. Bis auf die Verständigung mit Poznan Information klappt die Kommunikation sehr gut. Der Lotse spricht leider sehr schnell, mit Akzent und zu leise. Auf dem gesamten Trip bekommen wir übrigens nur einmal einen Transpondercode zugewiesen. So fliegen wir die Strecke fast immer mit dem VFR-Squawk. Aufgrund eines aktivierten militärischen Luftraums bekommen wir von Gdansk Information mehrfach konkrete Steuerkurse zugewiesen, samt Hinweis, wie lange wir diese zu fliegen haben.

Der Lotse bestätigt uns zwischenzeitlich den korrekten Kurs und bedankt sich für unsere Kooperation. Nach 25 Minuten dürfen wir dann doch abkürzen und direkten Kurs auf den gewünschten Pflichtmeldepunkt der Kontrollzone Danzig (EPGD) nehmen. Der Towerlotse benötigt dann ein paar Minuten, um uns in den Verkehr einzufädeln – so fliegen wir mit fünf Maschinen wie an einer Perlenschnur aufgereiht zunächst ein großes Holding. Dann dürfen wir gestaffelt und versetzt, aber gemeinsam landen. Die Sicht auf mehrere im Endanflug befindliche Maschinen voraus ist beeindruckend.

Anflug auf Danzig: Auf der Halbinsel Westerplatte steht das Denkmal der Verteidiger der Küste, das 1966 enthüllt wurde.
Bild: Lutz Lohse

Am wirklich äußersten Ende des Flugplatzes tanken wir und warten vergeblich auf einen Crew-Bus. Also wandern wir rund zwei Kilometer bis zur einzigen offenen Tür im Hauptterminal. Dort interessiert sich, wie schon bei früheren Ausflügen, keiner für uns. Das ist Schengen beziehungsweise die Freiheit der EU! Grenzenlos fliegen, kein Zoll, kein Airport of Entry und keine Grenzkontrolle. Nur den Reisepass haben wir dabei und einen kopierten Zettel vom Tankwart mit Aufschrift Crew Ident Card zum selbst Ausfüllen.

In Danzig herrscht Museumswetter

Die anschließende Bootsfahrt durch die Altstadt von Danzig und das Abendessen sind ein schöner Tagesausklang. Wir versuchen, viel vom Flair der Stadt aufzusaugen. Am nächsten Morgen soll es eigentlich nach Kętrzyn (Rastenburg) weiter gehen, zur Besichtigung des »Führerhauptquartiers« Wolfsschanze. Doch überraschenderweise herrscht IFR-Wetter mit 700 Fuß Wolkenuntergrenzen. Auf Höhe der Windenergieanlagen wollen wir jedoch nicht fliegen und so müssen wir unsere Planung überarbeiten: Wir warten einen Tag ab; das Ziel Palanga an der litauischen Ostseeküste wird schweren Herzens gestrichen.

Dafür besuchen wir das wirklich sehenswerte Museum zum Zweiten Weltkrieg in Danzig. Die Vorgeschichte und der Kriegsverlauf selbst sind gut strukturiert dargestellt. Die Erklärungen des Audio-Guides bringen neue Informationen und Perspektiven. Die Vielschichtigkeit der damaligen Entwicklungen haben uns auch im Vergleich zu den heutigen Kriegen nachdenklich gemacht. Die anschließende Stadtbesichtigung bringt uns dann wieder auf andere Gedanken. Wir lassen in einem Steakhaus alles auffahren, was das Pilotenherz bei schlechtem Wetter höher schlagen lässt.

Die Innenstadt von Danzig lädt zum Bummeln ein. In den bunten Häusern finden sich Restaurants, Cafés und Geschäfte für Bernstein. Bild: Lutz Lohse

Nach einer waghalsigen Taxifahrt zum Flughafen dürfen wir den Crew-Check-in benutzen. Die Crew Ident Card und ein Ausweis reichen aus. Nach der Sicherheitskontrolle sind alle Flughafenmitarbeiter plötzlich verschwunden. So können wir unsere Landegebühren nirgends bezahlen. Schließlich lässt uns ein vorbeikommender Mitarbeiter einfach auf das Vorfeld. Wir wandern erneut zu den Flugzeugen. Auch am alten GAT-Gebäude auf halber Strecke ist kein Mensch mehr zu finden. Wird das gut gehen? Scheint so! Wir rollen gestaffelt auf die riesige Bahn und starten in geringem Abstand zum nächsten Flug über Masuren: Wir überfliegen flache Landschaften, blühende Rapsfelder und unglaublich viele Seen.

Auf den Spuren der Vergangenheit

Der Flugplatz in Kętrzyn (EPKE) hat eine Graspiste und, wie wir nach der Landung feststellen, sogar einen besetzen Tower. Da beim Anflug jedoch keine Kommunikation zu Stande kommt, setzen wir Blindmeldungen ab und landen einzeln. Tanken können wir hier nicht. Das wussten wir aber vorher. Mit vorbestellten Taxis geht es dann zur nahen Wolfsschanze. Bei einer rustikalen Erbsensuppe aus einer Feldküche kommt der Anruf aus Danzig: Warum wir denn keine Gebühren bezahlt hätten? Wir einigen uns schnell auf die Zusendung einer Rechnung.

Die Innenstadt von Kętrzyn verführt mit einer beeindruckenden Allee und Wasserspielen zum Schlendern. Natürlich finden sich auch viele gastronomische Angebote. Bild: Lutz Lohse

Dann besichtigen wir die riesigen Bunkeranlagen, die durch einen Rundweg gut erschlossen sind. Infotafeln beschreiben die Geschichte und den Betrieb der Anlage. Es ist schon etwas Besonderes, wenn man vor den Ruinen steht, in denen Graf von Stauffenberg dem damaligen Schrecken ein Ende setzen wollte. Auch die Vielzahl der ausländischen Staatsoberhäupter, die hier zu Besuch waren, und die lange Aufenthaltsdauer des NS-Regimes in diesen Bunkern überrascht sehr. Vor dem Weiterflug nach Kaunas in Litauen gönnen wir uns eine letzte Tasse Tee im Café des Museums.

Nur nicht zu nah an Kaliningrad

Als wir am Flugplatz ankommen, soll gerade das Tor zum Gelände abgeschlossen werden. Wir sind verwirrt, denn eigentlich war unsere Abflugzeit abgesprochen. Letztlich kommen wir aber doch wie geplant auf den Platz, um den Weiterflug vorzubereiten. Das letzte startende Flugzeug fliegt durch eine große Wolke aus aufgewirbelten Gras der frisch gemähten Piste. Jetzt geht es zwischen der russischen Exklave Kaliningrad und Belarus durch die Suwalki-Lücke, einem nur etwa 65 Kilometer breitem Korridor, über die gemeinsame Grenze von Polen und Litauen.

Da dort das GPS-Signal immer mal wieder gestört wird, rasten wir zur Sicherheit alle nötigen VOR-Frequenzen. Genaues Fliegen ist auch deshalb gefragt, weil der Grenzüberflugpunkt BOKSU keine zehn Meilen von der Grenze zu Kaliningrad entfernt liegt. Auf dem Rückweg ist das der Warschauer FIS Lotsin offensichtlich zu knapp. Wir bekommen Steuerkurse zugewiesen, die uns schnell von der Grenze wegführen. In Kaunas haben wir uns nicht für den internationalen Verkehrsflughafen am Rande der Stadt entschieden, sondern für den alten Militärplatz Kaunas-Darius (EYKS) im Zentrum, der noch von einem Fliegerclub genutzt wird.

Äußerst gastfreundlich – der Fliegerclub im litauischen Kaunas-Darius liegt idyllisch direkt an der Wohnbebauung. Bild: Lutz Lohse

Wir stellen unsere Uhren eine Stunde vor, und es geht zügig mit Taxis in die Stadt. Wie schon bei den Taxifahrten zuvor haben wir eher die lebensmüden Fahrer erwischt. So biegt einer falsch ab und wird so auf einer mit Leitplanken getrennten, vierspurigen Straße zum Geisterfahrer. Dagegen wirken die Überholmanöver im Wald mitten in Kurven fast harmlos. Hoffentlich war das der letzte Schreck! Nach der Stadtbesichtigung gibt es üppige litauische Küche mit gefüllten Teigtaschen und anregende Gespräch. Denn hier sitzen ja tausende von Flugstunden am Tisch. Die Aussichten für den Rückflug von Litauen nach Deutschland sind gut – es ist Kaiserwetter angesagt.

Sonntags machen Sperrgebiete Pause

Am Sonntag tanken wir die Maschinen randvoll und wundern uns über den wenigen Verkehr auf diesem Platz. So können wir zügig starten und melden uns bei Kaunas Information an. Auf den einzelnen Legs wechselt das Führungsflugzeug, sodass fast jeder Pilot in der Gruppe einmal den Funk für alle übernimmt. Auch heute fliegen wir entspannt durch die verschiedenen Lufträume – zum Beispiel nach Bydgoszcz (EPBY) zum Tanken. Sonntags sind günstigerweise nur wenige Sperrgebiete aktiv. Wir nutzen unter anderem die Website www.airspace.pansa.pl, um zu checken, welche temporären Beschränkungsgebiete aktiv sind. Der Flugplatz Bygdoszcz ist Parkplatz für viele Airbusse von Wizz-Air, die einzeln vor den alten Sheltern stehen.

Wohl geordnet – die einheitliche Flotte beim Tankstopp auf dem Flughafen Bygdoszcz.
Bild: Lutz Lohse

Nach rund 45 Minuten geht es mit neuem Flugplan weiter. Wir starten mit leichtem Rückenwind und gestaffelt von der großen Piste. Eine halbe Stunde nach dem Start meldet eine Maschine den Ausfall des Alternators. »Oh nein, nicht doch noch ein echtes Problem«, hoffe ich. Die Checkliste für diesen Fall bringt leider keine Lösung des Problems. Ruhig und konzentriert besprechen wir den Weiterflug und stimmen Zeitpunkte für einen Austausch auf der Bord-Bord-Frequenz ab. Alle anderen Verbraucher werden abgeschaltet, um die Batterie für den restlichen Flug zu schonen. Das Flugzeug nimmt Position vier im Verband ein. Eine weitere Maschine macht als Nummer 5 den »Besenwagen«, um die Situation zu beobachten.

Seen satt Masuren ist bekannt für seine Seenlandschaft mit vielen kleinen Marinas.
Bild: Lutz Lohse

Vorbei an Dresden und der Moritzburg geht es zurück nach Chemnitz/Jahnsdorf (EDCJ). Zum Setzen der Landeklappen reicht die Batterie zum Glück noch aus. Wir sind erleichtert, denn alles ist gut gegangen. Anschließend gibt es das obligatorische Landebier. Bei der frischen Erinnerung an die baltischen Taxifahrer sind wir uns bei einem alten Pilotenspruch einig: Das Gefährlichste ist der Weg zum Flughafen, nicht das Fliegen!

Text & Fotos: Lutz Lohse

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