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Elektrisch turnen mit der Silence Twister

Kunstflug für alle dank Elektroantrieb? Der Uhrenhersteller Hamilton unterstützt zwei Schweizer Piloten, die eine Silence Twister elektrifiziert haben.

Von Redaktion
Elektrisch turnen mit der Silence Twister
Spitzentreffen: Nicolas Ivanoff umturnt in seiner Extra 300 Testpilot Dominique Steffen am Steuer der Hamilton aEro

Raron, Schweiz. In diesem kleinen Ort im Wallis, wo der bekannte Dichter Rainer Maria Rilke begraben liegt, schwingen  förmlich überall seine Worte mit: „Um eines Verses willen muss man viele Städte sehen, Menschen und Dinge, man muss die Tiere kennen, man muss fühlen, wie die Vögel fliegen.“

Die alte Militärpiste, die ganz in der Nähe vom mythischen Matterhorn und von Zermatt gelegen ist, wird inzwischen zivil genutzt. Eingekesselte Täler und steile Bergwände – man versteht schnell, warum das Echo, der Lärm, der Kunstflug und die Nachbarschaft sich nicht immer vertragen. Doch allen Flugplatz-Anrainern dieser Welt sei versichert: Das elektrische Kunstflugzeug kommt und wird nicht die Ruhe stören und „die Stille, die die ganze Weite in sich hat und an die Ohren weht, so als wäre ihre andre Seite der Gesang, dem keiner widersteht“, um erneut Rilke zu zitieren. Am 21. September 2016 kommen wir auf Einladung der Uhrenmarke Hamilton ins Wallis. Die Hubschrauber der Air Zermatt bringen die Gäste zur kleinen Feier, die auf dem Vorfeld stattfindet. Der bekannte französische Kunstflugpilot Nicolas Ivanoff und seine Extra sind schon da. Vor dem ausgewählten Publikum enthüllt Sylvain Dolla, der forsche CEO von Hamilton, die aEro.

Das Team hinter der aEro

Es handelt sich um ein einsitziges Elektroflugzeug, konstruiert auf Basis einer Silence Twister und ausgestattet mit einem Siemens-Motor. Technisch gesehen ruht das Projekt auf den Schultern seiner beiden Urheber: Dominique Steffen, der als erstes die Idee hatte, die Twister zu elektrifizieren, und Thomas Pfammatter, der als Hubschrauber-Pilot bei Air Zermatt arbeitet und mehr als 10 000 Flugstunden in der Bergrettung vorweisen kann. Ihr gemeinsames Unternehmen „Hangar 55“ hat innerhalb von 18 Monaten diesen wunderbaren einsitzigen Elektroflieger entwickelt und fertiggestellt.

Zufriedene Gesichter: Sie brachten die Hamilton aEro in die Luft. Von links: Thomas und Matthias Strieker, Dr. Frank Anton, Sylvain Dolla, Thomas Pfammatter, Dominique Steffen, Sébastian Demont und Nicolas Ivanoff

Nicht unerwähnt bleiben darf Sébastien Demont, Elektro-Ingenieur und CEO bei Demont Technologies, vormals Chef der Elektrosysteme bei Bertrand Piccards Rekordflugzeug Solar Impulse. Demont ist beim Hamilton-Projekt verantwortlich für die Integration und das Interface der Elektrik. Die Beteiligung von Dr. Frank Anton kann nicht wirklich überraschen: Der Leiter eAircraft bei der zentralen Siemens-Forschung Corporate Technology ist in alle aktuellen Elektroflieger-Projekte involviert: Diamond D36 eStar, Alpha Electro von Pipistrel, Magnus eFusion, Extra LE, eFan und nun eben auch bei der Hamilton aEro.

Als Basis wurde der Silence Twister ausgewählt

Tatsächlich scheint die Silence Twister mit ihrem widerstandsarmen, aerodynamisch ausgefeilten Design nicht nur wie geschaffen für einen Elektroantrieb – sie ist es auch, wie Matthias Strieker erzählt: „Wir dachten von vornherein an einen Elektroantrieb für die Maschine, aber damals, Ende der neunziger Jahre, war die Technik einfach noch nicht so weit.“ Matthias und Thomas Strieker (www.silence-aircraft.de; Twister-Pilot-Report in fliegermagazin #5.2004), die das als Bausatz erhältliche Muster geschaffen haben und nach wie vor vertreiben, waren bei diesem ersten öffentlichen aEro-Flug ebenfalls anwesend.

Exzellente Basis: Durch ihre Effizienz ist die Silence Twister für die Umrüstung mit einem elektrischen Antrieb bestens geeignet

Auch die Kunstflugtauglichkeit ist nicht bloß Theorie: Das britische Twister Aerobatic Team zählt zu den Höhepunkten vieler Airshows. Die Elektrofliegerei steht sicherlich noch am Anfang, die Aussichten machen jedoch Mut: Die Flugdauer mag noch relativ kurz sein, doch es gibt eine stete technologische Weiterentwicklung, die Zukunft sieht vielversprechend aus. Auch Nicolas Ivanoff zeigt sich begeistert von der neuen Art des Kunstflugs: „Ich war anfangs überrascht. Der Motor geht einfach aus, wenn man ihm keine Leistung abfordert. Aber wenn man erstmal in der Luft ist, hat man nach zwei Minuten schon komplett vergessen, dass man ein Elektroflugzeug fliegt“, beschreibt das Akro-Ass seine ersten Erfahrungen. Das Drehmoment des Siemens ist enorm und liegt im Drehzahlbereich des Props von 1000 bis 3000 rpm voll an.

Ein Flugzeug so sauber wie die Schweiz

Kein Tropfen Benzin, kaum Lärm, und sofern man Strom aus erneuerbaren Energien verwendet: kein Gramm CO2. Ein Flugzeug so sauber wie die Schweiz, könnte man sagen. Das Fluggeräusch ist am Boden angenehm leise bis kaum wahrnehmbar. An diesem Tag hat die Maschine knapp 30 Flug- und Versuchsstunden auf dem Buckel. Das Leergewicht beträgt 319 Kilogramm inklusive Batterien (deren Gewicht: 160 Kilo), die maximale Abflugmasse liegt bei 420 Kilogramm. Der Dreiblatt-Propeller stammt von Woodcomp und ist am Boden einstellbar. Motor und Steuereinheit wiegen nur 13 Kilo. Der Siemens dreht mit 11 000 rpm, ein Getriebe regelt den Prop auf maximal 2900 Umdrehungen herunter.

Sauber wie Bergluft: Die Hamilton aEro verbraucht 30 kW in einer Stunde, dabei ist der Geräuschpegel vernachlässigbar gering

Fünf Minuten dauert der Batteriewechsel an den Flügeln, 20 für die vorderen Packs. Die weitere Entwicklung geht in Richtung eines Plug-and-Play-Systems für noch einfachere Handhabung. Die maximale Betriebsdauer liegt bei einer Stunde, wenn mit 170 km/h geflogen wird, oder 20 Minuten Kunstflug mit zweimal 10 Minuten Transit. Der Verbrauch: 30 kW/h. Das Flugzeug hat eine Rollrate von 270 Grad pro Sekunde, doch mit modifizierten Flügeln, die in der Entwicklung sind, sollen 400 Grad drin sein. Sébastian Demont, selbst Kunstflugpilot mit 1000 Stunden auf der Mudry CAP 10, erläutert die Besonderheiten beim Energiemanagement der aEro: „Bei der Solar Impulse braucht man vergleichsweise wenig Strom, aber für eine längere Zeit. Beim Kunstflug ist es umgekehrt. Hier erfolgt die Entladung schnell, und man braucht sehr viel sofort abrufbare Energie.“

Einmal aufladen: Per Stecker erhält der Prototyp neue Energie. Batteriepacks gibt es in den Flügeln und im vorderen Rumpf

Komplizierte Informationen verständlich darstellen

Eine technische Herausforderung sind dabei die hohen Ampere- und Voltzahlen (maximal 200 Ampere pro Stunde bei einer Spannung von 450 Volt), denn sie verlangen eine auf die Millisekunde genaue Steuerelektronik und die Kommunikation mit vielen Batteriezellen gleichzeitig – die aEro hat davon 108. Die Computerdaten übersetzt Demont in für Piloten verständliche Informationen: „Spritstand“ ist die noch vorhandene Spannung der Zellen, angegeben in Volt; die gesetzte Leistung, quasi der Ladedruck, wird in Ampere angezeigt. „Wir möchten mit der neuen Technologie den Einstieg in die Kunstfliegerei bezahlbar machen und hoffen, in wenigen Jahren marktfähig zu sein“, erklärt Sylvain Dolla.

Der Hamilton-Boss glaubt, dass der Kunstflug mit Verbrennungsmotor vielleicht schon in fünf Jahren überholt sein könnte. „Von der Motorleistung sind wir schon jetzt in der Lage, den Benziner zu schlagen. Wir erreichen eine Effizienz von mindestens 90 Prozent, ein Kolbenmotor schafft in der Regel 35 Prozent“, so Dolla. Wie bei allen aktuellen Elektro-Projekten auch sind die Batterien der limitierende Faktor. Dennoch könnte vor allem der Kunstflug ein Vorreiter der E-Fliegerei sein, schließlich fällt die kurze Endurance beim Wettbewerb oder im Training in Flugplatznähe nicht so sehr ins Gewicht wie bei einem Reiseflugzeug. Weniger Lärm, geringe Betriebskosten und die Leistungsfähigkeit eines Elektromotors gehen in jedem Fall in die richtige Richtung. Und, um es ein letztes Mal mit Rilke zu sagen: „Dass etwas schwer ist, muss ein Grund mehr sein, es zu tun!“

Experimentalflugzeug HY4: Fliegen mit Wasserstoff

Nur einen Tag nach der Premiere der Hamilton aEro ist am Flughafen Stuttgart ein weiteres Elektroflugzeug zum ersten Mal der Öffentlichkeit vorgestellt worden: die HY4

Stattlich: Der Doppelrumpf-Gigant bietet Platz für bis zu vier Personen – schmal gebaut ist er wahrlich nicht

Die Idee

Vier Personen in einem Flugzeug mit Brennstoffzellen-Antrieb in die Luft zu bringen war das Ziel des Teams um Professor Josef Kallo vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Erfahrungen hatten die Forscher bereits mit dem Technologieträger Antares DLR-H2 gesammelt, dem weltweit ersten Flugzeug, das mit Wasserstoff fliegt.

Startbereit: die HY4-Testpiloten im Cockpit, links Johannes Anton, rechts Nejc Faganelj

Das Flugzeug

Die HY4 genannte DLR-Maschine kommt nicht aus dem Nichts: Es ist der Doppelrumpf-Taurus G4, mit dem der slowenische Hersteller Pipistrel bereits 2011 beim Effizienz-Wettbewerb Green Flight Challenge der NASA antrat und gewann. Mit einer Spannweite von 21,36 Meter (und einer ebenfalls stattlichen Spurweite) ist die HY4 kein zierliches Gerät und dürfte kaum als Sport- oder Reiseflugzeug in Serie gehen. Dennoch zeigt sie die Machbarkeit eines Brennstoffzellen-Antriebs in der Allgemeinen Luftfahrt.

Teamarbeit: Das HY4-Projekt ist eine Kooperation von DLR und Pipistrel

Erwähnenswert dabei ist, dass die HY4 den 80 kW starken Elektromotor sowohl mit Energie direkt aus der Brennstoffzelle als auch aus den eingebauten Batterien versorgen kann. Beide Varianten machen 50 Prozent der möglichen Maximalleistung aus, die etwa für den Start abgerufen wird, sie können vom Piloten aber auch getrennt aktiviert werden. Das Leergewicht der HY4 liegt bei 630 Kilogramm zuzüglich 400 Kilo für Brennstoffzelle und Wasserstoffspeicher. Die maximale Abflugmasse (MTOM) beträgt 1500 Kilogramm. Im Reiseflug ist die HY4 155 km/h schnell, Höchstgeschwindigkeit: 200 km/h. Die Wasserstofftanks können bis zu acht Kilo des flüchtigen Mediums aufnehmen, die Reichweite liegt zwischen 750 (bei ausgeschöpfter MTOM) und 1500 Kilometern.

Der Treibstoff

In der Luftfahrt hat Wasserstoff als Traggas, das leichter ist als Luft, eine lange und erfolgreiche Geschichte. Es ist aber auch hochentzündlich, extrem flüchtig und lässt sich nur unter hohem Druck speichern, bei 350 bis 700 bar. Brennstoffzellen erzeugen aus Wasserstoff Strom. Antriebe mit Brennstoffzellen sind noch immer Exoten, entsprechend dünn ist das Tankstellen-Netz. Für die Erzeugung von Wasserstoff benötigt man Strom, daher ist das Element als Energiespeichermöglichkeit etwa für Windparks denkbar: Diese müssten bei Überkapazitäten nicht vom Netz gehen, sondern könnten Wasserstoff als Zwischenprodukt herstellen, das bei Bedarf per Brennstoffzelle wieder zu Strom umgewandelt wird.

Auftanken, abmontieren: Zum besseren Handling am Boden lassen sich die Tragflächen entfernen

Text & Fotos: Jean-Marie Urlacher Übersetzung: Johannes Freytag fliegermagazin 01/2017

Technische Daten
Hamilton aEro
  • 7,50 m
  • 8,73 m2
  • 5,50 m
  • 310 kg
  • 420 kg
  • Siemens/80 kW
  • Woodcomp, 3-Blatt, CfK, fest/am Boden einstellbar
  • 30 kW/h
  • 160 km oder 30 min Kunstflug, inkl. je 15 Minuten Reserve
  • ca. 53 320 Euro
  • 9 m/s
  • 270 km/h
  • 300 km/h
Schlagwörter
  • Silence Twister
  • Aerobatic
  • Siemens-Elektromotor
  • Kunstflug
  • Kunstflugzeug
  • Elektroantrieb
  • Elektroflug
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