Flugzeug-Reportage: Phantom-Racer
Die Phantom ist ein pfeilschnelles Eigenbauflugzeug. 2004 hat sie die Doppeldecker-Klasse in Reno gewonnen: Mit 206,8 Knoten Durchschnittsgeschwindigkeit raste der Flitzer um die Pylone. Erbauer und Pilot ist Speed-Freak Tom Aberle aus Kalifornien
Die Jungs sind verdammt schnell, und das nicht nur um die Pylone, sondern auch beim Bauen: Gerade sieben Monate haben Tom Aberle, sein Sohn Jerry und Partner Andrew Buehler mit einigen Mitarbeitern gebraucht, um ihr ungewöhnliches Rennflugzeug auf die Räder zu stellen. Es ist nicht irgendeine Maschine, sondern der haushohe Gewinner der Biplane-Klasse bei den Reno National Championship Air Races 2004: 206,8 Knoten, fast 14 Knoten schneller als der frühere Abonnementssieger David Rose – das sind im Rennsport Welten. Rose blieb der frustrierende Anblick erspart, als für Aberle die Zielflagge geschwenkt wurde, so weit war die Phantom vorausgeeilt. Ebenso bitter muss es für den Viertplazierten gewesen sein, als die weiße Phantom ihn überrundete – und das nach nur sechs Umläufen. Tom Aberle, ein agiler 61-Jähriger, könnte leicht auch für Anfang 50 durchgehen. Freundlich-gelassen schaut er hinterm Schreibtisch hervor, der in seinem Hangar steht.
Dort, neben seinem eigenen Rennflugzeug und jenen seiner Kunden, ist normalerweise Toms Lebensmittelpunkt. Bis auf die dritte Woche im September, dann verlagert sich das Geschehen in einen Ort am Fuße der Sierra Nevada, 1372 Meter über dem Meeresspiegel – in die Glückspielerstadt Reno. Fallbrook, ein kleiner Ort eine Autostunde von San Diego entfernt im Süden Kaliforniens, ist von ganz anderer Natur: ländliche Ruhe, sanfte Hügel, fast immer schönes Wetter. Der kleine Flugplatz, der am Rande einer Hügelkette liegt, hat nur 700 Meter Bahnlänge und beherbergt ein Dutzend Hangars sowie etwa 60 Flugzeuge. Für Rennflugzeuge ist die kurze Runway alles andere als ideal. „Ich brauche immer mehrere Landeanflüge, bis es klappt. Und es haut nur hin, wenn ich Gegenwind habe“, erklärt Tom, dessen Renner bereits bei 70 Knoten stallt. Seine schneeweiß lackierte Maschine sieht schon im Stand rasant aus.
Aberle fliegt ohne Funk, aber mit Ohrschutz – der Motor würde ja doch alles übertönen
Entfernt ähnelt sie dem Mong-Racer, mit dem Aberle einige Jahre an den Reno Races teilnahm und mehrmals in der Biplane-Klasse gewann. „Ich habe eigentlich schon immer mit Flugzeugen zu tun gehabt“, verrät der Pilot, der familiär vorbelastet ist. Bereits sein Vater hatte eine Firma für Flugzeugwartung in Los Angeles, und seine Mutter vermietet mit über 80 Jahren noch immer einen Hangar am Flugplatz in Fallbrook. Deshalb taucht die alte Dame auch gern glegentlich auf, um zu schauen, was Sohn Tom und Enkel Jerry so treiben. Auch Jerry ist voll in das Phantom-Projekt integriert und betreibt einen eigenen Reparatur-Shop gleich neben dem väterlichen Hangar. Eines Tages will auch er ins Pylon-Racing einsteigen. Doch noch ist sein Vater der Star. Tom erklärt den Aufbau des Phantom-Racers: „Die vordere Rumpfpartie mit der Aufnahme für den oberen Flügel ist eine Gitterrohr-Stahlkonstruktion, die von einer Mong stammt.
Den Heckbereich haben wir selbst designt, ebenso das Leitwerk, beide Flügel, die Motoraufhängung, Cowling, Radverkleidungen, alles eben.“ Gibt es Zeichnungen? „Nein, wir haben das pi mal Daumen gemacht“, sagt Tom und reckt den Daumen am ausgestreckten Arm in die Luft, um die „Konstruktionsmethode“ zu verdeutlichen. Die unteren Flügel sind mit dem Haupt- und dem hinteren Hilfsholm verschraubt, die obere einteilige Fläche hat einlaminierte Aufnahmen aus Stahl. Flügel, Rumpfheck und Leitwerk bestehen aus kohlefaserverstärktem Kunststoff und sind selbsttragend. Warum hat man aber das Rumpfvorderteil nicht ebenfalls in Composite-Bauweise hergestellt? Die Antwort ist ebenso einfach wie verblüffend: „Ich bin gelernter Flugzeugmechaniker, und Metall ist mir einfach vertrauter“, erklärt Aberle. Deshalb – aber auch weil es schnell gehen musste – überließ er den Aufbau der Flächen einem Kunststoffbauer.
Der obere Flügel ist für plus/minus 18 g berechnet und hat wie der untere ein sehr dünnes Profil. Die geknickte Form der unteren Tragflächen hat den einfachen Grund, genügend Bodenfreiheit für den Propeller zu schaffen und widerstandsträchtige Radaufhängungen zu vermeiden. Die Konkurrenz in der Reno-Doppeldecker-Klasse hatte schon 2003 einen Vorgeschmack auf die Leistungsfähigkeit der Phantom und ihres Piloten bekommen. Im Qualifying legte Aberle mit fast 200 Knoten eine neue Bestzeit hin, doch die hölzerne Zweiblatt-Luftschraube bekam einen Riss. Im zweiten Lauf hielt der Ersatz-Prop dem gewaltigen Drehmoment des getunten Lycoming O-360 ebenfalls nicht stand. Mit einem Prüfstandpropeller erzeugt dieser bei 3000 Umdrehungen 270 PS, im Rennen dreht der Trockensumpf-geschmierte Boxer den Prop allerdings 3500 Mal pro Minute. Warum eine Trockensumpfschmierung?
„Der Motor baut so schmaler und macht ein kleineres Loch in die Luft“, schmunzelt der Rennpilot und malt mit dem Zeigefinger einen imaginären Kreis. Aus demselben Grund hat man auf einen Auspuff verzichtet, der zwar acht PS mehr gebracht, aber den Luftwiderstand erhöht hätte. Zurück in Fallbrook sann Aberle nach der missglückten Reno-Premiere in seinem Hangar auf Abhilfe, als das Telefon klingelte und sich Paul Lipps meldete. Vorwiegend mit der Entwicklung von elektronischen Zündanlagen für Flugmotoren beschäftigt, erwies sich der Ingenieur aus Santa Paula als Retter in der Not. Denn Lipps ist auch Aerodynamik Experte. Er offerierte Aberle, über dessen verpatzten Reno-Auftritt er in einem Luftfahrt-Magazin gelesen hatte, einen Zweiblatt-Prop aus Kohlefaser. Mit ihren innen extrem breiten Blättern, die nach außen sehr spitz zulaufen und einen enormen Anstellwinkel haben, entpuppte sich der Lipps-Quirl als wahres aerodynamisches Wunderwerk.
Der V-Knick der unteren Fläche ersetzt widerstandsträchtige Fahrwerksbeine
Bei Testflügen zeigte der Speedmesser satte 18 Knoten mehr an. „Hätte mir einer erzählt, dass ich allein durch den Prop soviel schneller bin – ich hätte das nie geglaubt“, freut sich Aberle, der jetzt einen nochmals optimierten Dreiblatt-Prop von Lipps verwendet.Auch für den hat sich mittlerweile einiges geändert: Er kann sich seit Aberles Reno-Sieg 2004 vor Anfragen nicht mehr retten. Nicht viel im Panel: Hauptsache, der Motor ist gesund, dann freut sich der Pilot. Am Tag des Fotoflugs ist kein Gegenwind, daher muss nach der Air-to-air-Session ein benachbarter Flugplatz mit längerer Runway angesteuert werden. Tom zwängt sich in die enge Kabine und setzt Ohrenschützer auf. Funk ist nicht an Bord. „Braucht man nicht und ist zu schwer.“
Er bittet vorab um Verständnis: „Fünf bis sechs Minuten, länger sollte das Fotofliegen nicht dauern.“ Der Sprit, der auf drei Tanks verteilt ist – im unteren Flügel zwei kleine, ein großer im Rumpf – würde zwar für zwei Stunden reichen. Aber, so die Erklärung des Piloten: „Man wird ziemlich durchgeschüttelt, und der Krach ist extrem. Überhaupt, die Phantom zu fliegen, macht zwar unheimlich Spaß, ist aber enorm stressig. Sie will in jedem Moment kontrolliert werden. Mal ein paar Sekunden geradeaus fliegen und den Knüppel in Ruhe lassen ist nicht drin. Im Rennen fliege ich mit 5 g um die Pylone. Davon merke ich aber nichts, weil ich so mit Adrenalin vollgepumpt bin …“, lacht Aberle und bläst zur besseren Anschaulichkeit die Backen auf.
Mit lautem Brummen rast die Phantom wenige Minuten später an der Cessna-Fotomaschine vorbei, als stünden wir in der Luft. Eine 180-Grad-Kehre im Messerflug bringt Tom in Position. Die niedrige Speed von 100 Knoten erfordert den ganzen Mann. Schließlich ist die Phantom für 220 und mehr gebaut. Im Geradeausflug hat Tom schon 230 gemessen. „Wir haben noch einiges zu optimieren. 220 Knoten sollten dieses Jahr in Reno drin sein“. Am 14. September ist es wieder soweit: Dann will der Titelverteidiger seinen Konkurrenten in der Wüste von Nevada erneut davonbrennen – als uneinholbares Phantom!
Text: Axel Westphal; Fotos: Cornelius Braun; fliegermagazin 6/2005
- 5,8 m
- 6,97 qm
- 6,1 m
- 335 kg
- 476 kg
- Lycoming O-360 (getuned), 270 PS
- 95 Liter/Stunde (Vollgas)
- 32 Liter/Stunde
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- Bodenfreiheit
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- Zweiblatt-Prop
- Dreiblatt-Prop
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