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Oldtimer-Reportage: Nord 1203-II Norécrin

Mit ihrer hohen Nase und der steilen, runden Kanzel-Stirn sieht die Norécrin aus, als habe Charles de Gaulle auf einem fliegenden Ebenbild bestanden. Doch dieser französische Tiefdecker hat deutsche Wurzeln, die bis zur Bf 108 zurückreichen. Und er ist lebhafter, als es sein 145-PS-Motor und die grotesk-biedere V-Stellung der Flügel vermuten lassen. Kein Wunder angesichts der edlen Abstammung

Von Redaktion

Das muss man natürlich vorher bedenken: Wer eine Norécrin fliegt, sollte ein entspanntes Verhältnis zu kontaktfreudigen Zeitgenossen haben. Denn nach dem Abstellen wird man leicht in ein Gespräch mit Neugierigen verwickelt. Hans Kuffer kann davon ein Lied singen: Da müsse man dann höflich Auskunft gegen, immer wieder. Der 54-Jährige ist einer von vier Haltern der D-EKIC, die im niederbayerischen Straubing-Wallmühle steht. Seine Norécrin-Partner sehen es ähnlich. Auf fremden Fluggeländen dauere es gewöhnlich nicht lange, bis ihrer Maschine ein Ehrenplatz angeboten werde. Ältere Piloten wüssten in der Regel, welches Muster da eingeschwebt sei. Beim Nachwuchs hingegen beginne das übliche Rätselraten. Das kann man den Jüngeren nicht übel nehmen, denn die D-EKIC ist zurzeit das einzige flugfähige Exemplar der Version 1203-II in Deutschland. 1954 wurde die Werknummer 309 gebaut – sehr viel mehr sind es nicht geworden.

Ihr Stammbaum weist zurück bis zur Bf 108 Taifun, also in die Vorkriegszeit (siehe unten „Historisches zur Norécrin“). Kaum befreit, entwickelten die Franzosen aus dem Bf 108-Abkömmling Me 208 eine ganze Nord-Typenreihe, die schließlich zur Nord 1203 führte. Ursprünglich fürs Militär konzipiert, fanden diese Flugzeuge auch den Weg in die Privatfliegerei – meist aber erst nach der Ausmusterung. Entdeckt hat die D-EKIC Hans Rudolf Killian. Der 61-Jährige kann sich noch gut an seine erste Begegnung erinnern. Das war Anfang der achtziger Jahre in Brienne-le-Château. Ein Abstecher führte ihn zum Treffen der französischen Amateur-Flugzeugbauer – eigentlich war er auf Urlaubsreise nach Spanien. Der damalige Besitzer des Flugzeugs war ein Deutscher, Hermann Balk. Der hatte die Maschine dem Schweizer Militär abgekauft; die HB-DAK war als Verbindungsflugzeug im Einsatz gewesen. Balk stationierte sie in Neubiberg am südlichen Stadtrand von München, seit zehn Jahren ein geschlossener Platz.

Starship aus einer fremden Galaxy: Kaum jemand kennt heute dieses Muster

Killian kam mit ihm ins Gespräch und bekundete ernsthaftes Interesse an der Nord 1203 Norécrin – ein Muster, das ihm vollkommen neu war. Man tauschte Adressen aus, traf sich auch gelegentlich, doch es dauerte noch ein volles Jahrzehnt, bis sich Balk von seiner Nord trennte. Der Bayer war inzwischen schwer erkrankt, und so wurde die D-EKIC zu einer Art Vermächtnis. Tatsächlich starb er kurz nach dem Verkauf. Rudi Killian, Hans Kuffer und Jürgen Trummer (der bis 1998 Miteigentümer war) besaßen jetzt, 1993, ein exklusives Flugzeug. Eines, wie sie es sich gewünscht hatten: mit Ecken und Kanten und militärisch-zackigem Touch. Der Überführungsflug von Neubiberg nach Straubing – kaum 100 Kilometer – fand allerdings mit einem Minimum an funktionsfähigen Instrumenten statt. Danach wurde die Nord umgehend grundüberholt – Hermann Balk hatte seine Norécrin wohl gemocht, sonderlich gewartet hat er sie allerdings nicht.

Die Maschine brauchte mehr als nur etwas Make-up – eine Herausforderung für die drei neuen Nord-Flieger. Aber man war ja vom Fach und konnte mit Blech, Elektrik und militärischem Fluggerät umgehen: Killian arbeitete bei Aero Lloyd, Kuffer ist Ingenieur und Kfz-Meister, Trummer fliegt Hubschrauber bei der Bundeswehr. Zwar geriet die ganze Aktion nicht zur Komplett-Restaurierung, doch eine umfassende, zeitintensive Überholung wurde es allemal. Man schaltete einen Prüfer und einen LTB ein, um alle Maßnahmen vorab zu besprechen, ließ jede einzelne separat begutachten und absegnen. Praktisch, dass Balk an seinem Wohnort München-Riem einen ganzen Schuppen voller Ersatzteile gehortet hatte, auf die seine Kunden noch heute zurückgreifen. Darunter auch zwei Rümpfe, die jahrelang Killians Garten im niederbayerischen Schierling „schmückten“. Inzwischen hat man die Ersatzteilspender weitergegeben: an einen Norécrin-Fan in Freiburg.

Der beschäftigt sich nun schon seit zwei Jahren mit einem Neuaufbau: Aus Zwei mach Eins. Vereinbart wurde jedoch eine gemeinsame Nutzung des Balk’schen Fundus. Zeit und Geld mussten die Besitzer der D-EKIC auch in den Motor investieren, einen hängenden Reihen-Vierzylinder, dessen Verkleidung entscheidend zum charakteristischen Aussehen der Norécrin beiträgt. Klar, der Regnier ist ein Exot und somit seine Versorgung mit Ersatzteilen … schwierig. Um die Wahrheit zu sagen: Es gibt eigentlich keine mehr. Auch in Frankreich, so Kuffer, sei kaum mehr was zu holen. Doch der Regnier ist robust, und so war mit einer gründlichen Durchsicht und dem Austausch maroder Elektrik auch dieser Akt irgendwann erledigt. Seine 1800 Stunden TBO hat der Motor bereits überschritten, doch weil die Norécrin privat betrieben wird, fliegt sie vollkommen legal. Der Prüfer hatte bislang nichts zu beanstanden, und Motorenkenner Kuffer vertraut dem enorm standfesten Triebwerk rundum.

Dessen stattlicher Hubraum von 6,3 Litern lässt die Kurbelwelle bemerkenswert langsam drehen: am Boden bei Vollast mit 1900 Touren. Im Reiseflug quirlt der Festpropeller mit 2200 Umdrehungen. Ordentliche 240 km/h liegen dann an, die mit 35 Liter Avgas pro Stunde bezahlt werden wollen. Der bauchige Öltank fasst acht Liter. Pro Flugstunde leert er sich um gut einen halben Liter – wobei ein kleiner Teil ins Cockpit eindunstet und für jenen militärisch-herben Geruch sorgt, der Fluggeräten dieser Provenienz eigen sein soll. Das Instrumentenpanel bedurfte völliger Erneuerung, wurde jedoch im Military-Style belassen: betont nüchtern und aufgeräumt, Zeit und Geld mussten die Besitzer der Große Räder, hohes Fahrwerk – doch ohne Beine lässt der Eiförmige Rumpfquerschnitt spartanisch-praktisch-gut. Die beiden mächtigen Flügeltüren darüber schwingen weit nach vorn auf. Darunter hat man mit viel Leder ein edles Reiseflugzeug-Ambiente geschaffen.

Große Räder, hohes Fahrwerk – doch ohne Beine lässt der Ei-förmige Rumpfquerschnitt die Messerschmitt-Abstammung erahnen

Am Schluss ihrer Kur erhielt die D- EKIC noch eine neue Lackierung. Um die in der Seitenansicht bauchige Form ein wenig zu verschlanken, brach man die Rumpfsilhouette mit Längsstreifen auf. Und Rabenschwarz sieht immer gut aus. Die gelben Sternchen gelten in Straubing als Markenzeichen ihrer Besitzer; auch deren Job 150 – ein österreichischer Tiefdecker, ebenfalls selten – wurde damit versehen. Handwerkliche Fertigkeiten und ein technischer Beruf, so Rudolf Killian, seien schon vorteilhaft, wolle man ein klassisches Flugzeug wie die Norécrin in Schuss halten. Doch habe man die Maschine mal in ordentlichen Zustand gebracht, relativiere sich der Wartungs- und Pflegeaufwand deutlich nach unten. Bei der 1203-II kommen den Haltern etliche Militär-Features entgegen, etwa die großen Wartungsklappen, die Service und Inspektion sehr erleichtern. Und selten ist den Militärs für ihr fliegendes Personal etwas zu teuer.

So wurde bei den Nord-Typen hochwertiges Aluminium verarbeitet, Korrosion findet man an der D-EKIC bislang nicht. Das Primat der Zweckmäßigkeit hat bei diesem Muster zu einer Oberfläche geführt, die mit Nietreihen und Schraubenköpfen gespickt ist. Etwas ungeschlacht fügen sich auch Übergänge und Formteile an ihre Plätze. Diese Bauweise hat andererseits einen nicht zu unterschätzenden Vorteil: Neuralgische Punkte sind lokal zugänglich, ohne hunderte von Niete aufhauen zu müssen. Stattdessen setzt man einfach den Schraubendreher an, um beispielsweise Hauptholme, Anschlüsse, Tanks, Leitungen und Anlenkungen freizulegen. Sogar die Beplankung auf der Flügelunterseite ist größtenteils geschraubt. Aerodynamisch vielleicht nicht ganz auf der Höhe der Zeit, aber eben sehr praktisch.

Und noch etwas stammt aus der militärischen Trickkiste: Schienen am Rumpfboden schützen die Zelle im Fall des Falles. Ferdinand Dupéré, ein Vorführpilot, der Ende der vierziger Jahre alles aus der Norécrin herausholte, ließ den Tiefdecker bei der Landung zu Show-Zwecken öfter übers Gras rutschen – mit eingezogenem Fahrwerk. Danach wurde die Maschine hoch gehievt und auf ihre Beine gesetzt – Dupéré konnte wieder starten. Das machte er so oft, bis es ihm langweilig wurde. Ob die hohe V-Form der Norécrin wirklich aus Gründen der Querstabilität notwendig war? Die Nummer mit der Bauchlandung legt einen anderen Schluss nahe. Originell ist bei diesem Flugzeug schon das Anlassen. Das hat maßgeblich mit seinem technisch antiquierten, aber reizvollen Schwungkraft-Anlasser zu tun. Bei dieser Konstruktion wird elektrisch eine Schwungmasse in Rotation versetzt und per Reibkupplung an den Anlasser gehängt.

Ein paar Mal schnauft dann der Motor beleidigt durch, ehe er mit einem Knall loslärmt. Das klappt zwar nicht immer auf Anhieb, hat aber durchaus Schauwert. Den Schweizer Militärpiloten, die in den fünfziger Jahren über das bockige Startverhalten des Regnier 4 L-00 lamentierten (besonders bei feuchter Witterung), dürfte dieser Aspekt nicht sonderlich am Herzen gelegen haben. Beim Lenken am Boden helfen die effektiven Lamellenbremsen. Ein Prinzip, wie es auch in Airlinern zu finden ist; das Norécrin-Bugrad ist nicht lenkbar, sondern nur geschleppt. Am Startpunkt lassen sich Drehmoment und Propellereffekte mit einem Trick überlisten: Man richtet die Nase nicht nach der Centerline aus, sondern etwas nach rechts. Andernfalls müsste man beim Losrollen einseitig bremsen – zu Lasten von Verschleiß und Startstrecke. Die ist ohnehin nicht STOL-verdächtig – der Festpropeller fordert seinen Tribut. Bei 100 km/h abheben, auf 140 km/h beschleunigen – mit vier bis fünf Meter pro Sekunde arbeitet sich die Nord auf Reiseflughöhe.

Solidarisch hängt sich der Pilot mit rein, indem er das Hauptfahrwerk von Hand hydraulisch einpumpt. Das dauert rund eine Minute. Dann gehen nicht etwa bunte Lichtlein im Panel an, nein, aus den Flächen werden fingerdicke Zylinder rausgedrückt, die signalisieren: Räder oben! Was das Bugfahrwerk betrifft, wirft der Pilot lediglich einen Blick durch ein sonderbriefmarkengroßes Sichtfenster im Cockpitboden. Sieht er den Reifen, muss das Rad drin sein. „Simpler geht’s nimmer“, so Kuffer. Keine empfindliche Elektrik und Elektronik – ein Segen, finden die Eigner. Trotz robuster Bauweise und militärischer Features ist die Norécrin kein übergewichtiger Bolide. Ihre Leermasse von 680 Kilogramm und knapp eine Tonne maximale Abflugmasse sind zivile Werte. Aber ein echter Viersitzer – wie die Rückbank vorgaukelt – ist sie nicht. 110 Kilo seien dort noch okay. Sonst wandere der Schwerpunkt unangenehm weit nach hinten, und die Maschine werde „ganz ko- misch“, orakelt Killian.

Einmal in Manöverkonfiguration gebracht, entfaltet sich der ganze Reiz dieses feinfühligen Flugzeugs. Agil und wendig bei geringen Steuerdrücken und ausgeglichener Ruderabstimmung, scheint die 1203-II alles übernommen zu haben, was bereits ihren Ur-Ahn, die Bf 108, ausgezeichnet hat. Schwierig zu fliegen sei eine Nord eigentlich nicht, betont Killian, aber er vermeidet bewusst das Attribut „anfängertauglich“. Im ersten Nachkriegsjahrzehnt sorgten die zivilen Me 208-Nachfahren für Negativschlagzeilen. Jene Unfallserie – häufig durch Abkippen und Strukturversagen – lässt sich kaum auf das Konto der ansonsten braven Maschine schieben. Offenbar überforderte sie einfach die alte Sportflieger-Generation, die noch auf Doppeldeckern geschult hatte. Tatschlich holt die Norécrin erschreckend schnell Fahrt auf und nähert sich ihrer VNE. Zur Entspannung fliegt Rudi Killian gern mal – gewissermaßen incognito – seinen Avid Flyer, ein UL, mit dem er garantiert kein Aufsehen erregt wie mit der Norécrin. Man ist ja nicht immer in Plauderstimmung

Historisches zur Norécrin

Die Nord 1000 Pingouin und ihre Ableger stammen quasi aus der Konkursmasse des Dritten Reichs. Die Produktion der erstmals 1934 geflogenen Bf 108 wurde 1942 von Regensburg ins besetzte Frankreich verlagert: zum 1936 gegründeten Staatsbetrieb SNCAN. Ab 1958 firmierte die SNCAN als Nord-Aviation, später ging das Unternehmen in der Aérospatiale auf. Auch die weiterentwickelte Me 208 (mit Bugrad) sollte dort gebaut werden. Nach der Befreiung Frankreichs 1944 gingen beide Typen bei SNCAN in Serie: mit den Bezeichnungen Nord 1000 Pingouin und Nord 1101 Noralpha. Letztere diente als Schul- und Verbindungsflugzeug bei der französischen Luftwaffe.

Die Ausrüstung mit Renault-Triebwerken machte die Nord 1000 (mit Argus-Motor) zur Nord 1001 und Nord 1002. Mit der Nord 1100 Noralpha und 1101 Ramier begann die Bugrad-Ära dieses Flugzeugs. Luftsportvereine und Privatpiloten fanden Gefallen an dem Tiefdecker. Die schon 1945 begonnene 1200-Serie gilt als „leichte Me 208“. Die Nord 1203 Norécrin wurde zwischen 1946 und ’58 gebaut. Da man bei SNCAN auf die Weiterentwicklung verzichtete, hatte die US-Konkurrenz leichtes Spiel. So blieb es bei nur 378 Exemplaren.

Text: Stefan Bartmann; Fotos: Simon Krikava; fliegermagazin 2/2006

Technische Daten
Nord 1203-II Norécrin
  • D-EKIC
  • 1954
  • 10,20 m
  • 13,07 qm
  • 7,06 m
  • 2,77 m
  • 680 kg
  • 980 kg
  • 300 kg
  • 140 l
  • Regnier 4 L-OO / 145 PS
  • Ratier 2164-1, 2-Blatt, starr, Aluminium, 2,0 m
  • 4 – 5 m/sec
  • 4 h
  • ca. 900 km
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