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Fliegen in den Alpen: Was muss ich als Pilot beachten?

Die Alpen sind fliegerisch anspruchsvoll, Gebirgseinweisungen machen mit den Besonderheiten vertraut. In Samedan kann man mit Fluglehrer üben, schwierige Situationen zu bewältigen.

Von Redaktion
Julierpass
Immer schräg: Anflug auf den Julierpass. Um Leegebieten zu entgehen, passt man die Route auch an Windrichtung und -stärke an. Foto: Adrian Weiler

„Flieg mal näher an die Felswand ran!“ Gefühlt löst der Sog meiner rechten Tragfläche schon Steinchen aus dem Gebirgshang. „Okay, es geht doch bestimmt noch näher.“ Simon sitzt völlig entspannt rechts neben mir, mit verschränkten Armen und den Füßen auf dem Boden statt im Seitenruder. Er ist ein sehr erfahrener Fluglehrer des SAFC Swiss Alpine Flying Centers in Samedan und macht keinen suizidalen Eindruck auf mich. Also gehe ich noch näher an den Fels.

„So, und jetzt bitte mit 45 Grad Schräglage auf Gegenkurs in der Talmitte!“ Das ist nun wirklich einfach, und ich entspanne mich wieder. Aber dann folgt gleich mit zwingender Logik: „Weil wir gerade von dicht am Hang kommen, wissen wir ja jetzt, dass das prima passt. Also bitte wieder mit 45 Grad Schräglage auf Gegenkurs zurück an den Berg.“ Uff. Als die Felswand die Frontscheibe meiner Cessna 182 zu füllen beginnt, wird aus der 45-Grad- eine 50-, 55-, 60-Grad-Schräglage, und das Vario zeigt ordentliches Sinken. „Höhe halten in der Steilkurve ist etwas für die PPL-Prüfung“, sagt Simon, „bei einer Umkehrkurve im engen Gebirgstal sind andere Parameter vordringlich.“

Fliegen in den Alpen: In Samedan ist eine Gebirgseinweisung Pflicht

Am Ende des einstündigen Einweisungsflugs und des anschließenden, ebenfalls einstündigen Debriefings habe ich mehr über Gebirgsflug gelernt als je zuvor, ungeachtet mancher Bücher und zweier Alpeneinweisungen mit Fluglehrern aus dem Flachland. Außerdem grinse ich bis in die Ohrläppchen und fühlte ich mich total geflasht.

SamedanSamedan
Angekommen: Die Cessna 182 von Autor Adrian Weiler in Samedan (links). Landen darf hier nur, wer zuvor online einen Kurs mit Prüfung absolviert hat. War die Landung ohne Fluglehrer, braucht man vor dem Start einen Einweisungsflug.

Aber der Reihe nach: Im August sollte es zu einem Kurzurlaub ins schöne Engadin gehen. Fürs Wetter in den Zentral- und Westalpen galt die Vorhersage CAVOK. Da war nur ein Problem: Der Flugplatz Samedan hatte wegen mehrerer schwerer Unfälle verfügt, dass nur noch Piloten mit einer maximal zwei Jahre alten speziellen Einweisung den höchstgelegenen Flughafen Europas (5602 Fuß) nutzen dürfen. Also machte ich den vorgeschriebenen Online-Kurs. Inhalt waren natürlich die vielfältigen Auswirkungen einer großen Dichtehöhe, die topografischen und meteorologischen Besonderheiten – etwa der tückische Maloja-Wind mit seinen Rotoren – sowie spezielle Verfahren bei An-, Abflug und Platzrunde des Engadin Airport (LSZS).

Ich bestand die mit dem Kurs verbundene Online-Prüfung und durfte somit dort landen. Da ich jedoch von keinem Fluglehrer begleitet wurde, brauchte ich vor dem Abflug von Samedan einen lokalen Einweisungsflug, sinnvollerweise mit einem ortsansässigen Lehrer.

Durch die Alpen statt oben drüber: Bei den meisten Wetterlagen muss man durch die Alpen fliegen

Bei der Suche war der SAFC behilflich. Simon Jäger hatte seine Jugend in St. Moritz verbracht und sich früh dem Segelflug verschrieben. Als Fluglehrer in Samedan schulte er zahlreiche Piloten; heute ist er hauptberuflich Fluglotse in Zürich. Seine erste Frage, als wir uns in LSZS treffen: „In welcher Flughöhe bist Du denn hergekommen?“ Auf meine Antwort – „überwiegend in 10 000 Fuß“ – entgegnet er trocken, man könne VFR ja nicht immer „über“ die Alpen fliegen. Bei den meisten Wetterlagen müsse man „durch“ die Alpen hindurch fliegen, also in mehr oder weniger engen Tälern und über Pässe.

Dabei kommt es nicht selten vor, dass auf der geplanten Route Wolken oder gar Schauer im Weg stehen. Denn das Gebirgswetter kann sich lokal überraschend schnell ändern. Dann ist die richtige Ausführung einer Umkehrkurve mit möglichst kleinem Durchmesser lebenswichtig. So kam es, dass wir die Cessna nach dem Start in Samedan in möglichst geringer Flughöhe (meist unter 8000 Fuß) und immer nah am Hang durch verschiedene Hochtäler der bis zu 13 500 Fuß hohen Gebirgswelt des Oberengadin trieben.

Enge Umkehrkurve: Die Ausführung mit möglichst kleinem Durchmesser ist lebenswichtig

Später habe ich die Formel gefunden: Der Durchmesser einer 180-Grad-Umkehrkurve in Metern berechnet sich als Quotient aus dem Quadrat der True Air Speed in Knoten (KTAS) dividiert durch 18,5 mal Tangens des Schräglagewinkels. Mathematisch betrachtet: Die Tangensfunktion im Nenner des Quotienten steigt sehr viel steiler als die Quadratfunktion im Zähler.

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Umkehrkurve: Leistungsverlust nach dem Start

Für einen möglichst kleinen Umkehrdurchmesser ist deshalb eine große Schräglage entscheidender als eine geringe Geschwindigkeit, die ohnehin die Gefahr eines Strömungsabrisses birgt. Und bloß keine Klappen, die beispielsweise bei der Cessna 182 die maximal erlaubte g-Belastung von 3,8 auf 2,0 herabsetzen würden! Allerdings steigen mit zunehmender Querneigung auch Abrissgeschwindigkeit und strukturelle Belastung; hier gilt es, nicht zu übertreiben.

Nicht zu schnell: Die Manövergeschwindigkeit aus dem Flughandbuch ist ideal

Zu schnell sollte man natürlich auch nicht durch die Täler heizen. Laut Simon sei die Manövergeschwindigkeit Va im Zweifel ideal, also bei der „182“ knapp 100 KIAS, je nach Beladungszustand; hier lohnt ein Blick ins Flughandbuch. Bei Va hat man einerseits einen Puffer nach unten zum Strömungsabriss, auch in großen Schräglagen, wo bei Turbulenz oder falschen Steuereingaben ein Accelerated Stall droht. Andererseits bleibt auch ein Puffer nach oben, um plötzliche Turbulenzen und Windscherungen zu überstehen, die in der verwinkelten, schroffen Topographie des Hochgebirges recht häufig vorkommen.

Überhaupt der Wind – ein in den Bergen oft unterschätzter Faktor. Selbst sehr erfahrene Alpenflieger fallen immer wieder dem Fön mit seinen extremen Turbulenzen zum Opfer. Im Engadin zwar eher selten, macht er bei Süd- oder Nordwindlagen den Alpenhauptkamm und seine Pässe zum unüberwindbaren Hindernis. Ich hatte deshalb vor Jahren einen Flug nach Venedig über den Brenner vorsichtshalber abgebrochen, trotz der riesigen Enttäuschung meiner Begleiterin. Als wir stattdessen in Salzburg landeten, empfing uns der Einweiser schon beim Aussteigen mit der Nachricht vom Absturz einer erfahrenen Schweizer Besatzung beim Abflug von Innsbruck, gerade eine halbe Stunde zuvor, wohl als Folge des ausgeprägten Föns im Inntal.

Faktor Wind: Egadin is für den Malojawind berüchtigt

Im Engadin ist der Malojawind berüchtigt: ein bei Westlagen stark auffrischender Wind, der durch die Düse zwischen den nordwestlich und südöstlich aufragenden Talflanken pfeift. Im Lee eines kleinen Bergs bildet der Malojawind im Abflug von Samedans Piste 21 einen so starken Rotor aus, dass die Steigfähigkeit mancher Flugzeuge zum Überwinden des Abwinds nicht ausreicht. Also muss man nach rechts Richtung Talmitte ausweichen, Richtung Celerina. Solche Dinge sind ebenfalls Gegenstand der Einweisung.

Abwindfelder durfte ich schon auf der Anreise genießen. Beim ersten vor dem Grimsel-Pass östlich des Ritzlihorns hatte ich angesichts des Westwinds schon mit einem Lee gerechnet und bei den ersten Turbulenzen meinen Flugweg gleich zur anderen Talseite hin korrigiert. Beim zweiten jedoch war ich unvorbereitet.

Aufmerksam sein: Das Fliegen in den Alpen mit Autopilot hat seine tücken

Richtung Berninapass unterwegs, deutlich unter Kammniveau, war ich bei eingeschaltetem Autopilot vollauf damit beschäftigt, den Morteratschgletscher fotografisch in Szene zu setzten. Nur aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, wie das Geschwindigkeitsband im PFD rasch rückwärts lief. Gleichzeitig erhöhte sich der Anstellwinkel spürbar, weil der Autopilot verzweifelt versuchte, die vorgewählte Höhe zu halten. Beides geschah überraschend schnell. Gerade noch rechtzeitig vor dem Blöken der Stallwarning flog die Kamera auf den Sitz neben mir, der Autopilot raus, und die Cessna in eine handgesteuerte Sinkflugkurve weg von der Gletscherzunge. Merke: Fliegen mit Autopilot hat im Gebirge seine Tücken. Und Fotografieren sollte für Solopiloten von nachrangiger Priorität sein.

RhonegletscherRhonegletscher
Grandiose Ablenkung: Rhonegletscher, aus Westen betrachtet. Bei Westwind fliegt man hier durchs Lee des Ritzlihorns, wo heftige Turbulenzen auftreten können.

„Siehst du die Scharte im Felsgrat dort vorne? Passen wir da wohl durch?“ Ungläubiger Blick meinerseits. Simon wieder ganz entspannt: „Schau halt mal!“ Anflug auf den Grat im 45-Grad-Winkel, um jederzeit talwärts abdrehen zu können. Der Abstand zum Untergrund schwindet, wir sind recht tief. Als wir uns der Überflugstelle nähern, wächst meine Zuversicht, und – schwupps! – sind wir auf der anderen Seite. Beiderseits der Scharte mit ihren fast senkrechten Flanken überragt der scharfkantige Grat die Cessna um einiges.

Spätestens da wird mir klar, dass keine Gebirgsflugtheorie das tatsächliche Erleben ersetzen kann. Wie will man den Abstand zum Gelände mit den Augen richtig abschätzen, ohne es jemals im Flug ausprobiert zu haben? Natürlich würde ich solche Flüge ohne sachkundigen Begleiter niemals ohne Not unternehmen. Aber das ist ja gerade der Punkt: das Einüben von Handlungsoptionen für den Fall der Fälle.

Unberechenbare Luftbewegungen: Beim Überfliegen von Gipfeln auf ein ausreichendes Höhenpolster achten

Im Normalfall ist beim Überfliegen von Gipfeln, Graten und Pässen ein sattes Höhenpolster unabdingbar, schon wegen der unberechenbaren Luftbewegungen. Wie ich überhaupt dazu neige, als Pilot ein bekennender Feigling zu sein, also auf möglichst vielen Reserven und Handlungsoptionen zu bestehen. Und genau solche zusätzlichen Optionen hat der aus meiner Flachlandsicht außergewöhnliche Gebirgsflug mit Simon bereitgestellt, sodass ich im weiteren Verlauf der Reise ohne Herzrasen und mit jeweils genügend Sicherheitshöhe immerhin zehn Alpenpässe in der Schweiz überflog. Und zwar trotz des Erlebnisses am Morteratschgletscher mit einer Ausbeute wundervoller Panoramafotos der grandiosen Bergwelt.

Das westliche Oberengadin bietet auch am Boden eine überwältigende alpine Landschaft. Was mich immer wieder total begeistert, ist der Gegensatz zwischen den bis auf 4000 Meter aufragenden Bergriesen und der breiten, völlig flachen Talebene des Inn mit den großen Seen und saftig grünen Weiden. Das gibt ein Gefühl von Weite, das man in anderen Alpentälern nicht so oft hat. Die Orte – Silvaplana, Sils, Maloja – fügen sich unauffällig in die Landschaft; sie stören kaum beim Eintauchen in die pittoreske Umgebung. Leider beeinträchtigt der niedrige Luftdruck in 1800 Metern oft meinen Nachtschlaf.

Atemberaubendes Panorama: Das Fliegen durch Pässe ist anspruchsvoll aber schön

Wie meistens auf VFR-Reisen mit meiner Cessna ist es eine aufziehende Wetterverschlechterung, die dem Spaß ein Ende setzt. Zurück nach Deutschland geht’s noch einmal über Maloja-, Septimer- Oberalp- und Sustenpass sowie die Grosse Scheidegg und vorbei am Jungfraumassiv.

Unterwegs ist die Sicht so klar, dass mir zum Abschied aus mehr als 100 Kiometern Entfernung noch ein Blick gelingt auf eines der ikonischen Wahrzeichen der Schweiz: das Matterhorn.

Ausflüge am Boden

Wirklich preiswert ist das Engadin nicht; für den Tagespreis eines Mietwagens etwa kann man sich andernorts ein Auto kaufen. So nutzte Autor Adrian Weiler die in hoher Frequenz verkehrenden Busse, genannt „Postauto“. Eine Mehrtageskarte, die auch die Bergbahnen abdeckt, war im Zimmerpreis des Silser Hotels Edelweiss (www.hotel-edelweiss.ch) enthalten. Dort wurden E-Mountainbikes zum Mieten angeboten. Empfehlenswerte Ziele einer Radtour:

  • das idyllische Val Fex mit dem Hotel Sonne und seiner Gartenterrasse samt Strandkörben
  • am Silvaplaner- und Silsersee vorbei über den malerisch gelegenen Flecken Isola zum Pass bei Maloja
  • Grevasalvas mit seinen Bruchsteinhäusern 150 Höhenmeter über dem Silsersee (Nordseite). Das urtümliche Bergdorf war angeblich der Drehort einer Heidi-Verfilmung

Bergbahnen führen zu den Ausgangspunkten abwechslungsreicher Höhentouren. So gelangt man beispielsweise von Sils hinauf zur Furtschellas (2312 Meter) oder von Pontresina auf den Muottas Muragl (2453 Meter).

Flugplatz- und Gebirgseinweisung beim SAFC in Samedan

Die Gebirgseinweisung ist in der Schweiz Teil der PPL-Ausbildung. Lizenzierte Piloten aus dem Ausland können diese Einweisung beim SAFC Swiss Alpine Flying Center in Samedan buchen. Programm und Flugzeit variieren je nach Vorstellung des Kandidaten. Die Gebirgseinweisung, auch „Alpeneinweisung“ genannt, ist zu unterscheiden von der offiziellen Mountain-Ausbildung mit Lizenzeintrag „MOU“ (in der Regel für Altiports oder Gletscherlandungen auf Ski).

Aktuell bietet das SAFC diese Ausbildung nicht an. Voraussetzung für den erstmaligen Anflug von Samedan ist ein Online-Kurs mit Online-Prüfung, siehe https://elearning.engadin-airport.ch/login. Obligatorisch ist zusätzlich eine praktische Flugplatzeinweisung, die in der Regel eine Stunde dauert. Für Piloten mit eigenem Flugzeug kostet die Stunde beim SAFC 170 Franken plus Landegebühr. Mit seiner Robin DR400/500 berechnet der SAFC inklusive Fluglehrer und Landegebühr zirka 560 Franken. Schnupperflüge, bei denen Kunden ohne Flugerfahrung in Begleitung eines erfahrenen Fluglehrers das Steuer übernehmen, werden ab 349 Franken angeboten. Weitere Infos: https://swiss-alpine-flying-center.ch

Text & Fotos: Adrian Weiler

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