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Gebirgsflieger-Treffen in Chamois: Savage Cub und Eurofox am Fuße des Matterhorns

Föhnlage, gespenstisch ruhiges Steigen in eisige Höhe. In der Welle. Mit einem UL. Im Blick der Mont Blanc, der höchste Berg der Alpen, 15 770 Fuß. Dreißig Meilen östlich auf 5900 Fuß der
Altiport Chamois. Was für ein Ziel, was für ein Weg!

Von Redaktion
Täuschend ähnlich: Die Savage Cub gleicht dem Original von Piper. Als UL ist sie aber kleiner
Täuschend ähnlich: Die Savage Cub gleicht dem Original von Piper. Als UL ist sie aber kleiner

Gleichmäßig prasselt der Regen aufs Zelt. Vom Vordach des landwirtschaftlichen Gebäudes fallen schwere Tropfen auf die gelbe Savage-Bespannung. Der Boden ist weich und vollgesogen. Das Handy vibriert, jetzt werden wir richtig wach. „Hallo? Andi? Das ist lieb von Dir … bis später …“ Er wird uns abholen. Unser Ausflug zum Gebirgspiloten-Treffen nach Chamois im Aosta-Tal war hier nahe Kufstein zu Ende, nicht weit von daheim. Wer vorigen Sommer Gelegenheiten fand zu fliegen, gehörte schon zu den Glücklichen. Auslandsflüge waren ein Risiko. Bisher hatte ich Glück, war immer nach Hause gekommen. Diesmal nicht. Dank GPS findet uns Andi schnell; wir verstauen die Savage im Lkw, genießen die Wärme in unserem mobilen Hangar, die nassen Klamotten lassen die Scheiben beschlagen.

„Und, Tom – erzähl doch mal, wie war’s?“ Es wird eine lange Geschichte, die unser Rückholer zu hören bekommt. Samstagmorgen, 13. August, wir wollen gen Süden aufbrechen. Martin Kienzer mit Ulrich Huber im Eurofox und Hilde und ich in der Savage. Vom Segelfluggelände Füssen soll die Route durch die Alpen nach Milano und dann weiter zu unserem morgigen Ziel führen: Chamois am Fuße des Matterhorns. Doch die Wolken drängen sich an die Allgäuer Nordhänge und lassen nur einen kleinen Spalt im Tal frei.

Aufbruch gen Süden: Martin Kienzer mit Ulrich Huber im Eurofox und Hilde und ich in der Savage

Auch für die Alpenüberquerung sieht die Wetterprognose düster aus. Es gibt nur einen Weg, der offen steht: über Frankreich nach Italien. Deshalb entschließen wir uns gegen Mittag zum Aufbruch nach Bourg-en-Bresse am Rand des Rhônetals. Dort gibt es Benzin, und falls niemand am Flugplatz sein sollte, können wir zu Fuß an der nahe gelegenen Tankstelle Sprit besorgen. Das bleibt uns erspart. Als wir landen, sehen wir einen Franzosen beim Tanken. Sofort bitten wir ihn um Hilfe, und bereitwillig stellt er sein Tankkonto zur Verfügung. Wir begleichen die Rechnung und schlagen in Bourg unser Nachtlager auf.

Es ist noch dunkel, als der Wecker brummt. Verschlafen schleichen wir mit Taschenlampen um die Zelte und packen alles in die Flieger. In der Dämmerung starten wir die Motoren. Schemenhaft sehe ich die Instrumente. Nur das GPS ist beleuchtet. Sein Pfeil weist auf den hohen weißen Berg im Osten: den Mont Blanc. Gleich dahinter beginnt das Aosta Tal, und dort im Valtournenche, einem Seitental, liegt unser Ziel. Vollkommen ruhige Luft beschert uns einen traumhaften Steigflug. Je näher wir dem Massiv kommen, desto größer wird die Geschwindigkeit über Grund. Lentis bilden sich über dem Kamm.

Werden uns Turbulenzen schütteln? Hilde zeigt mir, wo’s langgeht – Segelflieger sehen den Weg, ich nicht. Vorbei am Gebirgslandeplatz Megève erklimmen wir 12 000 Fuß MSL. Jetzt kommen uns die 100 Pferde des Rotax zugute. Besser als der 80-PS-Eurofox klettern wir über die Kämme. In dieser Höhe kann ich Vollgas geben, ohne dass der Motor über 5200 Touren dreht. Dermaßen überfettet nähern wir uns der Gipfelhöhe. Das Morgenlicht bringt die schroffen Hänge zum Leuchten. Am Grat weht eine Schneefahne nach Osten. Wir müssen eine Schutzzone beachten und weichen nach Süden aus. Vor uns taucht die Alpenkette auf.

Unzählige Gipfel und Täler sind vom Streiflicht erhellt. Wider Erwarten ist es nach wie vor ruhig. Hilde meint, dass es nicht immer zur Durchmischung der ruhigen Luft im Tal mit der stark bewegten weiter oben kommt. Dann ist der Übergang weich. Nur am Grat erfassen uns ein paar Turbulenzen. Ohne weiter Höhe zu machen, fliegen wir auf das weithin sichtbare Matterhorn zu. Wir blicken in die Gletscherspalten hinunter. Die Atemluft kondensiert. Uns ist kalt. Eine Heizung wäre jetzt sehr angenehm. Als wir das Matterhorn umrunden, wird uns dessen Größe bewusst. Ein winziges Flugzeug vor diesem monumentalen Berg, gefährlich nahe an den Konturen.

Ich komme mir sehr klein vor. Keineswegs als Bergbezwinger, viel eher wie eine Fliege, die einen Elch umkreist, in der Hoffnung, nicht verletzt zu werden. Ein Atemzug würde dieses kleine Insekt aus dem Gleichgewicht bringen. Die Luft ist dünn hier oben. Hilde ist das gewöhnt. Ich nicht. Immer wieder muss ich tief einatmen. Leichte Kopfschmerzen deuten unmissverständlich auf Sauerstoffmangel hin. Wir dürfen nicht zu lang in dieser Höhe bleiben. 14 400 Fuß lese ich ab. Weit unter uns im Tal liegt der Gebirgslandeplatz Chamois. Eine bunte Schar von Fliegern wird sich hier treffen. Hilde ist durchgekühlt, ich habe klamme Hände und Füße.

Mit jedem Meter, den wir Höhe abbauen, erwärmt sich die Luft. Der östliche Gebirgskamm legt seinen Schatten auf die Hänge im Westen. Und auf den Altiport. Landerichtung 09 … ich kann die Piste kaum sehen. Die Sonne scheint auf die Frontscheibe und zeigt mir jeden Fleck und Kratzer. Ich taste mich an die Schwelle heran. Abdrehen nach links wäre möglich. Nur wenige hundert Meter vor der Schwelle tauchen wir in den Schatten ein – nun sehe ich die Piste wieder deutlich. Es ist windstill; unser Timing hat gepasst. Mit fast voller Leistung setzen wir auf, 8.30 Uhr Ortszeit.

Nacheinander trudeln weitere Gäste ein: Piper Cub in allen Farben, Husky, Kappa, Kitfox

Auf dem horizontalen oberen Ende der Piste stellen wir ab und steigen schnell aus, um uns aufzuwärmen. Der Eurofox baut seine Höhe wesentlich langsamer ab. Eine Viertelstunde nach uns gleitet er über die Schwelle. Auch Martin und Uli hatten Probleme beim Anflug. Eine Stunde später ist die Piste von der Sonne hell erleuchtet. Nacheinander trudeln weitere Gäste ein, aus Italien, der Schweiz und Frankreich, Jodel Musquetaire, Piper Cub in allen Farben, Husky, Kappa, Kitfox. Freudestrahlend will ich eine D-registrierte Cub begrüßen. Der Pilot sieht mich nur fragend an … ein Italiener! Ach so, auch in Italien fliegt man also mit ausländisch zugelassenen Maschinen.

Langsam wird’s eng auf dem Abstellplatz. In der Früh war die Savage noch solo. Nun sind wir am hintersten Ende eingeparkt, quasi zum Verweilen verdammt. Ein kurzer Rundflug hätte schon Spaß gemacht. Aber die morgendlichen Eindrücke vom höchsten Gipfel der Alpen glühen noch in un- seren Köpfen, ein schöner Trost. Mein Kaffeedrang wird immer größer. Nein, nicht der Ich-will-raus-Drang, sondern der Jetzt-muss-endlich-einer- rein-Drang! Auf einer Ebene ist ein großes Speisezelt aufgebaut. Wir werden mit köstlichen Leckereien aus der Gegend fürstlich versorgt und natürlich mit italienischem Cappuccino. Weiter oben am Berg, durch einen Weg erreichbar, liegt die kleine Ortschaft Chamois. Eine Seilbahn schaufelt Touristen herauf. Enge Gassen und nette Cafés laden zum Schlendern ein. Wir gönnen uns einen weiteren Kaffee. Über dem Massiv auf der anderen Talseite stehen schon seit Stunden mächtige Föhnwolken.

Wie im Lehrbuch sind die Linsen trotz hoher Windgeschwindigkeit stationär – sie markieren den höchsten, kältesten Bereich der wellenförmigen Strömung, wo die Luftfeuchtigkeit kondensiert. Hin und wieder bauen sich die Lentis dicker auf und werden unten dunkel, dann wieder ganz dünn. Gegen Nachmittag verdichtet sich die aufgekommene Schichtbewölkung, und der Westwind nimmt zu. Landen ist jetzt heikler geworden; die Rundflieger mit ihrer Jodel stellen den Flugbetrieb ein. Es beginnt zu regnen – wir machen Siesta im Zelt, die anderen bleiben in ihrem Hotel. Dort versorgt man uns später mit einem üppigen Abendessen; Ski-Fliegervideos stimmen uns auf die Wintersaison ein. Eine interessante Mischung verwegener Piloten, darunter betagte Kollegen, pflegt als kleiner Kreis die Gebirgsfliegerei. Schade, dass wir in Deutschland solche Plätze nicht betreiben; es wäre eine Erweiterung der fliegerischen Möglichkeiten, eine echte Bereicherung.

Eine windige Nacht im Zelt unter der Tragfläche. Am Morgen ist es kalt und nur leicht bewölkt. Die höheren Berge sind mit frischem Schnee angezuckert – am 15. August. Wir befreien die Maschinen aus ihren Parklücken und verstauen alle Utensilien in den Gepäckfächern. Frühstück im Küchenzelt, dann brechen wir auf. In Italien soll das Wetter den Anflug zum Brenner verhindern, also versuchen wir, über den Mont Blanc nach Frankreich zu kommen. In Aosta – kein UL-Platz – dürfen wir landen, sodass wir tanken können. Natürlich rutschen die Stecker eines Funkgeräts immer genau dann raus, wenn man im Endteil eines kontrollierten Flugplatzes ist! Hilde übernimmt, ich fummle den Stecker wieder rein …

»Aosta, no problem any more, on final 27.“ Der Föhn bläst durch das Tal und beschert uns einen ruppigen Anflug. Womit man hier unten kämpft, bereitet den Segelfliegern tausende von Metern weiter oben den höchsten Genuss: die berühmte Aosta-Welle. Aufgetankt kämpfen wir uns am Hang empor nach Westen. Am Mont Blanc sind wir auf 13 500 Fuß. Wir haben Mühe, den Gipfel zu erreichen. Hilde weist mir den Weg. Im Westen drücken die Wolken gegen die Berge, ohne Lücke. Der Wind bläst hier oben mit fast 90 km/h. Wir beratschlagen.

Martin versucht einen Weg durchs Tal zu finden, doch es ist zu. Ist das Vario kaputt?! Ohne Rucken, ohne dass ich eine Vertikalbeschleunigung wahrgenommen hätte, lese ich 900 Fuß pro Minute ab. GPS und Höhenmesser zeigen das gleiche an … Wir sind in der Welle! Hallo! Mit dem UL in der Welle! Wow. Es spült uns in den Himmel. Hilde sagt, wir müssten uns beobachten, wegen des Sauerstoffs und so. Wir sind beide in den Bergen aufgewachsen, dennoch spüre ich, dass mit der Luft was nicht stimmt. Ist es schon Sauerstoffmangel, weshalb ich mich so großartig fühle? Oder ist es der Blick über die grandiose Bergwelt? Wahrscheinlich beides.

GPS und Höhenmesser zeigen das gleiche an … Mit dem UL in der Welle!

Entlang der Welle bunkern wir Höhe. Jetzt sind wir so hoch wie der Mont Blanc und drehen auf den Gipfel zu. Doch als wir in seine Nähe kommen, erfasst uns sinkende Luft. Wir stehen fast, haben nur noch 40 km/h über Grund. Es ist ruhig hier, obwohl vom Gipfel Schneefahnen wehen. Dann geraten wir ins Lee – es wird turbulent. Wir beschließen nach Süden zu fliegen und wollen herausfinden, ob nach Westen Durchkommen möglich ist. Mit mehr als 220 km/h über Grund zischen wir gen Süden. Immer wieder geraten wir in kleine Wellen. Ich muss mich zwingen, den Abstieg einzuleiten, zu lange sind wir schon in dieser Höhe. Doch das durchgezogene Wolkenband nimmt auch im Süden kein Ende. Auf der Höhe von Torino fällt die Entscheidung: nach Osten abdrehen! Der Eurofox macht das Gleiche. Wolkenlos erstreckt sich die Po-Ebene, man sieht bis zu den Ligurischen Bergen. Der Westwind schiebt uns voran.

UL-typisch lassen wir uns auf unter 1000 Fuß Ground fallen und befreien uns auf einem leblosen UL-Gelände nahe Milano vom Druck der Blase. Es ist warm, es riecht nach Urlaub. Wir sind in Italien. Sommergefühle. Lange Unterhosen und Strumpfhosen werden abgelegt. Letzte Müsliriegel verschwinden. Uli packt sein mobiles Büro aus und checkt das Wetter. Der Brenner ist noch frei, dahinter wartet allerdings Nordstau. Wie kritisch würde es jenseits des Alpenhauptkamms werden? An Kontrollzonen vorbei schlängeln wir uns nach Osten Richtung Brescia. Dort hat Martins Freund Pietro Marchi ein UL-Gelände. Mächtige Cbs liegen auf unserem Weg. In der Nähe des Platzes zucken Blitze aus den Wolken. Am Funk sind die Störungen zu hören. Wir landen sicher, doch die Hallen sind versperrt. Noch ist niemand da. Wir kramen die Zurrhaken aus den Fliegern und wollen sie gerade vertäuen, als Pietro herangefahren kommt und die Halle öffnet.

In letzter Sekunde schlüpfen wir durchs Tor, und schon kommt der Regen. Zuerst leicht, dann richtig heftig mit Blitz und Donner. Kleine Hagelkörner tanzen übers Vorfeld. Glück gehabt. Wir werden mit Sprit versorgt, ein leidiges Thema auf italienischen UL-Plätzen. Die Zeit drängt, wir wollen noch nach Hause. Gegen 16 Uhr starten wir Richtung Gardasee. Zwischen den Gewittertürmen fliegen wir ruhig durch den Taleinschnitt nordwärts. Unten drängen sich unsere Landsleute an den Stränden. Mittlerweile säumen nur noch kleine Cumuli die Route. In der Gegend um Bozen kommt Gegenwind auf. Bei Brixen verengt sich das Tal, wir haben kaum mehr Groundspeed. Von Westen sehen wir Niederschlag durch die Täler hereindrängen. Es bleibt nicht viel Zeit. Unser Ausweichplatz wäre ein UL-Gelände bei Sterzing.

Der Brenner ist frei. Bis Innsbruck sieht alles gut aus. An der Kontrollzone vorbei wollen wir nach Osten durchs Inntal ins Flachland. Doch kurz vor Kufstein hüllen uns die Wolken zusehens ein. Unter uns gibt es große Wiesen … Abbrechen! Hilde hilft mir beim Aussuchen einer geeigneten Landefläche. Bei strömendem Regen gehen wir auf einem kurzgemähten Feld neben einer Scheune runter. Der Magirus leistet abermals gute Dienste. Auf dem Heimatflugplatz fragende Blicke: „Wie Italien, mit dem UL? Bei diesem Wetter?“ Ja, es war eine Tour, die’s wirklich in sich hatte.

Text: Tom Huber, Fotos: Hilde Hackl, fliegermagazin 1/2006

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