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Mischverkehr: Wichtige Besonderheiten bei Tragschraubern

Als ULs haben Tragschrauber einen Boom erlebt, für manche Piloten sind sie aber immer noch ein Kuriosum. Tatsächlich verhalten sich Gyrokopter am Boden und in der Platzrunde speziell, was zu Missverständnissen führen kann.

Von Redaktion
Tragschrauber
Wo ist er nur? Wer am Rollhalt steht und nach einem Tragschrauber im Endanflug Ausschau hält, muss den Blick weiter als gewohnt nach oben richten. Die Drehflügler kommen in der Regel mit einem deutlich steileren Gleitwinkel rein, als es Flächenflieger gewohnt sind. Foto: Helmuth Mauch

„Nein, das ist kein Hubschrauber.“ Wer einen Tragschrauber fliegt, wird diese Antwort vermutlich schon oft gegeben haben. Sehr oft. Aber wenn es kein Heli ist – was ist es denn dann?

In jedem Fall eine schon recht alte Idee: 1920 entwarf der spanische Luftfahrtpionier Juan de la Cierva die ersten Pläne für seinen „Autogiro“. Der Name beschreibt bereits das Prinzip, nämlich das der Autorotation, durch die der Tragschrauber oder Gyrokopter in die Luft kommt und dort bleibt. Im Gegensatz zum Helikopter wird der Hauptrotor nicht von einem Motor angetrieben, sondern allein durch die ihn von unten durchströmende Luft. Ein Triebwerk gibt es dennoch, denn damit diese Strömung überhaupt zustande kommt, braucht es Vortrieb. Den liefert bei aktuellen Gyro-Modellen ein hinter der Kabine montierter Motor mit Druckpropeller.

Tragschrauber haben kuriose Flugeigenschaften

Die frühen Tragschrauber hatten dagegen ihr Triebwerk vorn, damals noch Sternmotoren – warum keiner der heutigen Hersteller diese Variante aufgegriffen und weiterverfolgt hat, ist mal eine gute Frage für eine andere Geschichte.

HelikopterHelikopter
Grundverschieden: Beim Helikopter (oben) schaufelt der angetriebene Hauptrotor die Luft nach unten und erzeugt Auftrieb. Der Rotor des Gyrokopters wird nur beim Start vom Motor auf Touren gebracht. Danach rotiert er frei durch die Luft, die bei genug Speed von unten durch die Rotorebene strömt.

Daraus ergeben sich teils einzigartige, teils auch kuriose Flugeigenschaften, die mit zum überaus erfolgreichen Revival dieses Luftfahrzeugs Mitte der 2000er-Jahre geführt haben. Tragschrauber fliegen macht nämlich großen Spaß! Im Gegensatz zu einem Helikopter kann ein Tragschrauber beispielsweise nicht in der Luft stehenbleiben. Ist der Gegenwind stark genug, sind Manöver möglich, die diesen Anschein erwecken, doch zieht man das Gas raus, sinkt die Maschine. Insofern gleichen Gyros eher den Flächenflugzeugen: Nach oben geht es nur mit Speed.

Stömungsabriss? Das Kennen Tragschrauberpiloten nicht

Einen Strömungsabriss mit den daraus folgenden Problemen kennen Tragschrauberpiloten dagegen nicht. Aus dem Reiseflug (in ausreichender Höhe) mal das Triebwerk auf Leerlauf zu stellen und die Stupsnase steil in den Himmel zu ziehen, bis der Fahrtmesser nichts mehr anzeigt, sorgt bei unbedarften Flächenpiloten, die mal im Tragschrauber mitfliegen, schon für Schweißperlen.

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Doch was passiert? Es wird leise, und dann geht es einfach nur sanft nach unten – mehr nicht. Den aktuellen Stand der Lebensversicherung zeigt eben nicht der Fahrtmesser an; alles entscheidend ist vielmehr die Drehzahl des Hauptrotors. Absolut tabu ist es, einen steilen Steigflug mit Nachdrücken auszuleiten, da es hier zu verringerter g-Belastung (weniger als 1 g) kommen kann. Das reduziert die Rotordrehzahl rapide, und der Auftrieb bricht in Sekunden zusammen. Er kommt auch nicht mehr wieder, und bis jetzt gibt es noch keinen zugelassenen Tragschrauber mit einem Gesamtrettungssystem, das dann noch helfen könnte.

Achtung Umfaller: Prinzipiell sind die Drehflügler relativ stabil

Doch all das lernt man während der Ausbildung, und hatten die Gyros zeitweise den Ruf, ein überaus heikles Fluggerät zu sein, hat sich das inzwischen wieder gelegt. Ein typisches Szenario für Zwischen- und Unfälle sind „Umfaller“ beim Rollen – dazu gleich mehr. Prinzipiell sind die Drehflügler überaus stabil und gutmütig. Start und Landung sind etwas komplexer als mit einem Flächenflugzeug, doch einmal in der Luft, steuern sie sich fast wie von selbst.

Darüber hinaus ist es wie bei allen anderen Luftfahrzeugen von großer Bedeutung, das Fluggerät innerhalb seiner Betriebsgrenzen zu betreiben und die Herstellervorgaben für Wartung und Instandhaltung zu beachten. So hat beispielsweise auch das Rotorsystem neben dem Triebwerk eine Time between overhaul (TBO), die unbedingt eingehalten werden muss.

Die Besonderheiten verstehen: Die Gleitzahl eines Tragschraubers ist geringer als die eines Flächenflugzeugs

Nun mag nicht jeder den Wunsch verspüren, sich mit der Technik und der Faszination eines Tragschraubers näher zu beschäftigen. Aber gute Piloten blicken auch mal über den Tellerrand, um beispielsweise zu verstehen, womit sie es in der Platzrunde zu tun haben. Auch im Sinne guter Airmanship und schlicht größerer Sicherheit.

Beispiel Rollhalt: Ein Pilot steht mit seiner Cessna dort an der Linie, die letzten Checks sind erledigt, es könnte eigentlich losgehen – doch da ist noch jemand im Endanflug, ein Tragschrauber. Hm … wo denn? In der Regel werden Piloten zu tief nach dem Kollegen suchen, denn die drei Grad Gleitpfad sind super für einen Airliner, nicht aber für einen Gyro. Dessen Gleitzahl ist geringer als die eines Flächenflugzeugs, sie fliegen die Landebahn viel höher an. Sucht man einen Gyro also im Endanflug – als wartender Pilot am Rollhalt, aber auch als Flugleiter oder sogar als „Nummer zwo“ dahinter, sollte man den Blick heben und weiter oben suchen.

Schwer zu entdecken: Die Silhouette eines Tragschraubers ist sehr schmal

Um es noch interessanter zu machen: Viele Tragschrauber sind Tandemsitzer, ihre Silhouette ist also sehr schmal, man könnte auch sagen: elegant. Entsprechend schwer sind sie zu entdecken, am ehesten während einer Drehung, ähnlich wie Segelflugzeuge mit ihren schmalen Rümpfen und Flügeln. Wer in der Platzrunde fliegt, kann über Funk darauf achten, wenn ein Tragschrauber vom Gegen- in den Queranflug beziehungsweise in den Endanflug dreht. Dann sind die Chancen besser, ihn zu finden.

Es stimmt, dass Gyrokopter im Reiseflug nicht unbedingt die Speedkönige sind, die gängigen Muster sind mit 130 bis 160 km/h unterwegs. In der Platzrunde sind sie deswegen aber keine Schleicher, sie fliegen dort mit gleicher Geschwindigkeit wie Flächen-ULs oder auch Motorsegler. Vorteile haben Gyropiloten hier beim Langsamflug: Sollte es einmal erforderlich sein, in der Platzrunde Zeit zu gewinnen, können Tragschrauber auch „langsam machen“.

Kurze Landestrecke: Tragschrauber sind am Boden recht langsam

Hinter einem landenden Gyro sollte man davon ausgehen, dass dessen Landestrecke in der Regel eher kurz ist und das Aufsetzen selbst mit geringer Geschwindigkeit erfolgt. Es wird nicht passieren, dass der Drehflügler anschließend mit 50 km/h oder mehr bis zum nächsten Abzweig weiterrollt. Zwar ist ein Tragschrauber am Boden keine Schnecke und  durchaus fixer unterwegs als nur mit Schrittgeschwindigkeit, aber eben eine Idee langsamer, als es manch ein Flächenpilot gewohnt ist.

Nicht drängelnNicht drängeln
Bitte nicht drängeln! Mag sein, dass Tragschrauber beim Rollen nicht die schnellsten sind, aber mehr als Schrittgeschwindigkeit schaffen sie schon. Beim Start brauchen sie Zeit zum Vorrotieren: Aus der Kurve vom Rollhalt gleich los und wegsteigen? Geht nicht.

Kurz nach der Landung wird der Pilot damit beschäftigt sein, die Windrichtung zu checken, denn beim Rollen mit einem Gyro ist es essentiell, die Rotorebene ganz nach vorn und dann immer in den Wind zu richten. Auch die Trimmung muss ganz nach vorn gestellt werden.  All das kostet Zeit, und die Bitte nach einem „beschleunigten Abrollen“, sollte sie denn im Funk von anderen zu hören sein, ist hier nicht nur fehl am Platz, sondern eher ein Risiko. Wenn Sie also merken, dass es mit Ihrem Endanflug hinter einem landenden Gyrokopter nicht mehr passt: durchstarten!

Kein Sofortstart: Das Hochtouren des Rotors dauert bis zu 30 Sekunden

Auch der Start mit einem Tragschrauber verläuft anders. Dass der Rotor keine Verbindung zum Triebwerk hat, stimmt nicht ganz: Es gibt eine Antriebswelle, mit der der Quirl vor dem Abheben auf Touren gebracht wird, damit Auftrieb entsteht. In der Regel sind das 200 Umdrehungen pro Minute. Das geschieht nach dem Aufrollen auf die Bahn im Stand und dauert je nach Modell des Tragschraubers und Können der Person am Stick zwanzig bis dreißig Sekunden.

RotorblätterRotorblätter
So läuft’s: Die Rotorblätter sind beim Tragschrauber fest und nur mit einem Schlaggelenk mit dem Rotorkopf verbunden, ihr Anstellwinkel ist fix. Zum Steuern lässt sich die gesamte Rotorebene mit dem Knüppel zur Seite und nach vorn und hinten kippen. Das Seitenruder gleicht die Antriebsmomente aus und hält den Gyro vor allem beim Landeanflug in der Längsachse ausgerichtet.

Das ist sicher keine Ewigkeit, aber flottes Beschleunigen gleich aus der Kurve vom Rollhalt heraus und Abheben ist nicht drin. Auch hier ist es nicht zielführend, wenn sich ein dahinter wartender Pilot oder gar die Flugleitung einen „Sofortstart“ wünscht – der ist technisch einfach nicht möglich. Umgekehrt wäre es fatal, wenn sich Tragschrauberpiloten von so etwas unter Druck gesetzt fühlten, denn Start und auch die Landung sind deutlich komplexer als mit einem Flächenflugzeug. Sicherheit und gegenseitige Rücksichtnahme sind auch hier der Schlüssel. Eben gute Airmanship!

Text: Martin Nass, Zeichnungen: Helmuth Mauch, Illustrationen: Eric Kutschke

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