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Flugplatz Baltrum – EDWZ

Das Dornröschen 
der Nordsee
 – Mit diesem märchenhaften Spruch wirbt die ostfriesische Insel seit
den zwanziger Jahren. Idyllisch – verschlafen ist das Eiland nach wie vor

Von Redaktion

Ein Dornröschenschloss gibt’s hier zwar nicht, dafür aber ein Hotel mit Namen „Dünenschlösschen“. Liebenswert verschlafen ist das kleine Eiland auf jeden Fall. Rund 5,5 Kilometer lang, 1,5 Kilometer breit und in eineinhalb Stunden zu umrunden (daher der Spitzname „bald rum“), ist Baltrum im Vergleich zu den anderen ostfriesischen Inseln geradezu winzig. Hier leben etwa 500 Einwohner, in der Saison kommen bis zu 3500 Gäste dazu. Bis auf ein paar Pferdefuhrwerke, Hotel-Dienstfahrräder und Handkarren sieht man keine Verkehrsmittel. Wer würde in dieser Idylle einen Flugplatz vermuten? Doch in Sichtweite der Hotels, nur wenige Meter vom ehemaligen Gleisbett der Schmalspurbahn, befindet sich auf der Heller-Wiese die recht kurze, schmucke Landebahn.

Und um das Märchen noch einmal zu bemühen: Ganz ohne Dornen ist der Anflug nicht. Um die schlafende Prinzessin zu besuchen, sollte man den Flieger gut im Griff haben. „360 Meter Pistenlänge“, grinst Olaf Klün, Mitinitiator und heute Geschäftsführer des Platzbetreibers Baltrum Flug. „Das hält die Flugbewegungen in Grenzen.“ Nordseeinseln werben mit Ruhe und Entspannung, da heißt es Rücksicht nehmen. „Durch die Bahnlänge sind wir auf 1,4 Tonnen Startmasse limitiert, mit einer Ausnahmegenehmigung für die Cessna 182 und Cessna 206 unseres Partnerflugbetriebes FLN, die ‚Inselflieger‘.“ Klün deutet auf eine blau-weiße Cessna XP neben dem kleinen Terminal-Container auf dem Hügel. „Das Flugzeug gehört der FLN in Harle, wir betreiben es von Baltrum aus.“

Anflug auf Baltrum: Um die schlafende Prinzessin zu besuchen, sollte man den Flieger gut im Griff haben

1972 wurde der kleine Flugplatz angelegt, damals noch mit einer 425 Meter langen Graspiste. Häufige Überflutungen ließen den Flugverkehr tagelang zusammenbrechen, bis im Jahre 2002 endlich eine feste Bahn aus Verbundpflastersteinen eingeweiht werden konnte. Bei unserem Besuch stehen drei, vier Maschinen hochwassergeschützt auf dem Hügel. „Es kommen oft Gäste aus den Niederlanden, neulich war auch ein Franzose hier“, erzählt der Flugleiter. „Der Platz ist zwar PPR, aber jeder ist willkommen“, ergänzt Olaf Klün. Wir besteigen eine Cessna 172XP und rollen die Bahn 27 bis zum Startpunkt runter. „195 PS und Verstellprop machen Sinn“, stellt Klün fest. „Wir haben genug zu frachten.“ Leichter Wind von vorn, 12 Grad Celsius: Klün schiebt das Gas rein, und nach gefühlten 200 Meter Startbahn sind wir in der Luft.

Erholsam: Der Strand bietet alles, was es für den Urlaub am Meer braucht (Foto: Rolf Stünkel)

Es geht nach links über den kleinen Fährhafen und rüber nach Norderney, wenige hundert Meter weiter westlich. An der Südostspitze der Nachbarinsel aalen sich Seehunde in der Sonne. Ziemlich genau dort muss sich vor ein paar Hundert Jahren das Westufer von Baltrum befunden haben, gut eineinhalb Kilometer vom jetzigen Ort entfernt; das alte Westdorf verschwand 1825 in einer verheerenden Flut. Landverlust durch Inselwanderung ist an der ganzen Küste ein Dauerbrenner. Der Sand zieht mit Strömung und Wind gen Osten, ganze Dörfer mussten schon im Laufe der Jahrhunderte umgesiedelt werden. Über dem fast unbewohnten Osten deutet Olaf Klün auf einen schmalen Weg, der mitten durch Dünen, Gras und Kiefernwald führt. „Das ist der Gezeitenpfad, er verläuft am Strand nach Osten und querfeldein zurück.“

Bei unserem Besuch stehen drei, vier Maschinen hochwassergeschützt auf dem Hügel

Auf diesem lehrreichen Rundgang erfahren Naturinteressierte, was es mit Dünen, dem empfindlichen Ökosystem Watt und auch den Gezeiten auf sich hat. Vom Osten der Insel lässt sich zudem das Treiben auf der Nachbarinsel Langeoog bestens beobachten. Am anderen Ende der Insel liegen die Ortschaften Westdorf, Ostdorf und das alte Ostdorf, südlich eine große Freifläche mit dem Flugplatz und Pferdeweiden. Gibt´s keine Lärmbeschwerden? „Überhaupt nicht“, winkt Olaf Klün ab. „Und unser Flugverkehr hält sich ja in Grenzen.“ Der Pilot ist waschechter Baltrumer, hier geboren und Sohn des Flugplatzgründers; das verpflichtet. „Wir befördern Gäste und Fracht, machen Rundflüge oder holen frische Lebensmittel“, zählt Klün auf.

Letzteres auch im eigenen Auftrag, denn seine Familie betreibt in Sichtweite der Runway ein Hotel. Inselpilot und Gastwirt: So ein Doppelpack hält auf Trab. Wenn in aller Herrgottsfrühe die Frühstücksvorbereitungen im Hotel erledigt sind, schwingt sich Klün aufs Fahrrad. Zwei Minuten später ist er am „Terminal“ und macht die Cessna klar, um Zeitungen und Post vom Festland zu holen, meist von Norddeich. Nach dem ersten Flug kehrt Olaf Klün an den heimischen Herd zurück; weitere Trips sind jederzeit auf Abruf möglich. Ein Vollzeit-Job, der erst nach 23 Uhr zu Ende geht. Doch Klün ist zufrieden: „Die Inselfliegerei läuft gut, und so komme ich öfter mal raus aus der Küche.“ Ein Streifzug durchs Dorf führt vorbei an Klinkerbauten aus der Zeit der fünfziger bis siebziger Jahre.

Häufige Überflutungen ließen den Flugverkehr tagelang zusammenbrechen

Vereinzelt lugen auch ältere Häuschen hervor; die meisten davon im alten Ostdorf. Auf Baltrum sind die Häuser nach Baujahr durchnummeriert, Straßennamen gibt es nicht. Das erschwert Neulingen zunächst die Suche nach einer bestimmten Teestube oder Pension, zumal einige neue Häuser unerwartet niedrige Hausnummern haben. Das ist, abgesehen von gelegentlichen Regengüssen, aber auch schon die einzige Herausforderung für Touristen. Eckpunkte zur Orientierung sind das alte Zollhaus mit Museum, das Schwimmbad, die kleine Inselkirche mit einem einfachen Holzgerüst davor, an dem die Glocke eines gestrandeten Schiffs hängt, oder der Platz vor der Kurverwaltung mit dem stählernen Wal, einem Spielgerüst für Kinder.

Befestigt: Seit 2002 ist die Piste von Baltrum mit Verbundpflastersteinen belegt, die auch mal Hochwasser aushalten (Foto: Rolf Stünkel)

Baltrum ist schon wegen seiner geringen Fläche kein Rivale für Touristenhochburgen wie Norderney oder Juist. Der bewusste Verzicht auf touristisches Tamtam, Kneipenlandschaft und Partyszene wird von den Gästen honoriert, die Ruhe und ein recht solides Urlaubsangebot suchen. 80 Prozent aller Einwohner sind Mitglied im Baltrumer Kultur- und Sportverein und organisieren Aktivitäten wie Dünensingen, Kutschfahrten und Theateraufführungen oder das Festival „Dornröschen rockt“. Das kulinarische Angebot reicht vom rustikalen Strandcafé mit Strandkörben bis zu kleinen und größeren Kneipen und gepflegten Hotelrestaurants. Ein Tipp ist das Teehaus „Kluntje“ im alten Ostdorf, es ist voll von alten Fotos und Erinnerungen aus dem 19. und 20. Jahrhundert.

Unser Flugzeug hat Baltrum ein drittes Mal umrundet; wir haben den kleinen Hafen bewundert und die Jugendbildungsstätte im Osten erspäht. Vögel flattern auf, als Olaf Klün in den Anflug zur „27“ eindreht. Mit vollen Landeklappen setzt er die Cessna kurz hinter der Schwelle auf. So wirken mickrige 360 Meter fast üppig – Flugzeugträger haben schließlich noch weniger Runway. Klün deutet auf Radspuren im Gras. „Hier brauchte neulich eine Piper etwas mehr Landebahn“, erzählt er schmunzelnd, aber ganz ohne Häme – die Grasflächen an beiden Enden der Bahn sind gut benutzbar. Mit ordentlich Bahn voraus bremst das Flugzeug ab und rollt den kleinen Hügel hoch zum Abstellplatz. Minuten später hat uns die Dornröscheninsel wieder – am Deich herrscht heilige Ruhe.

Baltrum – Tipps und Infos

So kommt man hin: Von Osten anfliegend wartet man einfach, bis nach mehreren langen Ostfriesischen Inseln plötzlich eine kurze, kleine auftaucht – oder zählt bis vier: Baltrum liegt genau zwischen den anderen sechs, zwischen Langeoog im Osten und Norderney im Westen. Die 360 Meter kurze, befestigte Piste hat an beiden Enden 50 Meter Grasfläche, die ebenfalls benutzbar sind. Sie liegt am Westrand zwischen Hafen und Westdorf (Platzrundenhöhe 800 Fuß). Achtung: zahlreiche Seevögel im Süden und Osten der Bahn. Die Ostfriesischen Inseln gehören zum Wattenmeer-Nationalpark und sollen nicht unter 2000 Fuß überflogen werden. Funkhilfe: 214/34 NM from „DHE“ VOR/DME (116.30).

Text & Fotos: Rolf Stünkel; fliegermagazin 08/2015