Jet

Pilot Report: Aero L-29 Delfin

Wenn dieser Oldie an einem deutschen Flugplatz auftaucht, dann bleiben die Münder der Zuschauer offen. Zum einen ist der Sound unbeschreiblich, zum andern wähnt man sich bei Top Gun: Die Aero L-29 Delfin stiehlt allen die Schau

Von Redaktion

Militärische Schuljets sind Möchtegern-Fighter, auf denen der Nachwuchs das Einmaleins der Jagdfliegerei bimst. In engen Kurven fließt literweise Schweiß; die Anti-g-Hose pumpt sich auf, wenn der Flugschüler Kunst-, Tief- und Formationsflug übt. Unter Helm und Sauerstoffmaske hockt er mit seinem Lehrer auf Schleudersitzen; am Kniebrett klemmt das Trainingsprogramm. Das fliegende Klassenzimmer der künftigen Top Guns ist meist nur ein schwachbrüstiger Jet mit mehr Tarnfarbe als Power. Macht nichts, auch solche Mini-Fighter haben echte Jet-Eigenschaften, und schließlich hat auch Michael Schumacher mal auf einem Go-Kart angefangen. Jede Ära hat ihre Strahltrainer. In den fünfziger, sechziger Jahren kurvten im Westen hochbeinige Lockheed T-33, tiefergelegte Fouga Magister (mit Scherenfernrohr für den hinten sitzenden Lehrer) und zeitlos schöne Northrop T-38-Überschalldüsen herum.

Der Warschauer Pakt setzte auf tschechische Qualität: Sein erstes Düsenschulflugzeug war eine L-29 Delfin aus den traditionsreichen, 1919 gegründeten Aero-Werken. Vom Reißbrett (1955) ging die zweisitzige XL-29 am 5. April 1959 erstmals in die Luft. Für Schwung sorgte zunächst ein britisches Bristol Siddley Viper- Strahltriebwerk, später der Serienmotor M-701 von Motorlet. Das neue Flugzeug mit dem hübschen Namen hatte Erfolg. Im Sommer 1961 zeigte die L-29 auf einem Wettbewerb bei Moskau im Vergleich mit russischen Jakowlew Jak-30 und polnischem PZL-Mielec TS-11 Iskra so gute Leistungen, dass sie ruckzuck als Schulflugzeug nahezu aller Warschauer-Pakt-Staaten ausgewählt wurde. Nur die Polen flogen noch lange ihre Iskra weiter. Über 3600 Delfine wurden zwischen 1964 bis 1974 zusammengeschraubt; neben der Grundversion existerte der Einsitzer L-29 A und ein leichter Kampfjet-Prototyp, die L-29 R.

Die einstrahlige Delfin ist der „Starfighter“ des kleinen Mannes

Allein der „Große Bruder“ Sowjetunion orderte mehr als 2000 Flugzeuge, selbst russische Astronauten trainierten auf der L-29. Delfine flogen in exotischen Ländern wie Afghanistan, Ghana und Mali. Die NATO vergab für Warschauer-Pakt-Flugzeuge eigene Codebezeichnungen, oft wenig originelle Tiernamen. Die L-29 hieß jetzt „Maya“ – eine nette Geste des „Klassenfeindes“ gegenüber dem bienenfleißigen Ost-Trainer. Dass die Maya eines Tages sogar zum Spaßflieger des Klassenfeinds avancieren würde, hätte zur Zeit ihrer Produktion wohl niemand vorausgesehen. Mittlerweile fliegen mehrere Maschinen mit britischer Registrierung in Privathand, darunter auch die L-29, die Walter Eichhorn dieses Jahr auf einigen Airshows in Deutschland und während des Flugprogramms auf der AERO in Friedrichshafen vorführen wird.

Erfahrung auf dieser Maschine hat der Ex-Lufthansa-Kapitän und Me-109-Experte reichlich: Bereits vor zwei Jahren leaste er eine andere L-29 und führte diese auf zahlreichen Airshows in ganz Europa vor. Wie aber fliegt sich der manchmal als „Starfighter des kleinen Mannes“ titulierte Jet? Von der Nasenspitze bis zu den Flügelwurzeln ähnelt die L-29 – schlank und schmal, mit großen Cockpitscheiben – einer Lockheed T-33. Der Rest scheint zu einem kleineren Flugzeug zu gehören: Der Rücken verjüngt sich zum T-Leitwerk und dem ofenrohrartigen Triebwerksauslass. Niedliche Lufteinlässe und ein schnittiges Heck machen das leicht kopflastige Bild wieder wett. Im Cockpit künden Uhren und Hebel von solider Handwerksarbeit. In der Mitte der mächtige Horizont, ringsum die altbekannten Basis-T-Instrumente, Triebwerks- und Spritanzeigen. Weiter außen sitzen Fahrwerkshebel, Warnbrett und ein g-Messer. Links finden sich die Hydraulik-Notbedienung und ein hölzerner Höhenruder- Trimmknopf, der wie ein Frischlufthebel aussieht.

Auch Intercom und Schubhebel, Landeklappenbedienung und ein Feuerlöscher sind auf dieser Seite. Rechts gibt’s ein großes Sicherungs-Brett sowie das Pneumatik-Bedienteil. Die Maya ist ein robust konstruierter Flieger ohne technische Überraschungen. Die Steuerung arbeitet ohne hydraulische Unterstützung klassisch über Seile, Rollen und Stangen. Fahrwerk, Klappen und Speed Brakes werden hydraulisch betätigt. Räder und Flaps können mit einer Nothydraulik einmal aus-, jedoch nicht wieder eingefahren werden. Druckluft powert Hauptbremsanlage, Kabinendachabdichtung, Dachnotabwurf und Brandhahn. Ein Notsystem treibt die Ersatzbremsen und den Dachabwurf. Der Triebwerksgenerator versorgt das 28-Volt-Gleichstromnetz. Vier Wechselrichter liefern Wechselstrom für Horizont, Kompass, ADF und Radiohöhenmesser. Die Batterie hat Saft für 20 Minuten Notstrom. Längst gibt es für den Ost-Jet eine Wessi-Checkliste, die gut durchs Programm führt. Schnell wird klar: Wir sitzen nicht im Starfighter, es geht recht gemütlich zu.

Beim Start schiebt der Pilot zunächst 80 Prozent Drehzahl für den Triebwerks-Check vor. Dann, bei 100 Prozent Power, löst er die Bremsen. Bei etwa 75 Knoten wird die Nase sechs Grad hochgezogen, um das Bugrad zu lupfen. Die L-29 hebt zwischen 80 und 90 Knoten ab. Fahrwerk rein, Nase zehn Grad hoch, Klappen rein: der Pilot zieht weiter auf zwölf Grad hoch. Später, in größeren Höhen, gibt’s die beste Steigrate laut Handbuch bei sechs Grad Pitch, 97 Prozent Drehzahl und 189 Knoten. Nach Erreichen der Reiseflughöhe kommt die Power auf 92 Prozent zurück, bis die gewünschte Geschwindigkeit anliegt. Strahltrainer sind keine Rekordjäger. Die L-29 reißt ihre Piloten mit maximal 443 Knoten (Meereshöhe) und 0.75 Mach (0.70 mit Außentanks) nicht gerade vom Schleudersitz. Dafür klettert sie brav auf fast 40 000 Fuß und zeigt im Kurvenflug mit maximal +8g/–4g, wo der Hammer (und die Sichel) hängt.

Ideal für den Jet-Einsteiger – und für Freunde der laut

Mit diesen Belastungsgrenzen ist Biene Maya bestens für alle Kunstflugmanöver gerüstet; die beginnen mit 94 oder 97 Prozent Schub. Die „Kopfüber-Manöver“ Loop, Immelmann und Clover Leaf leitet man mit 280 Knoten ein, andere (Chandelle oder Lazy Eight) mit 216 Knoten. Wenn im Eifer des Gefechts mal die Spritanzeige vergessen wird, fällt kein Nachwuchspilot vom Himmel. Bei 200 Liter Restkraftstoff leuchtet ein Schild am Warnpanel auf, das 20 Minuten Restflugzeit anmahnt. Für Spritspar-Fanatiker taugt die L-29 eher weniger, dafür ist zumindest das nötige Jetfuel preiswert. Für die 1500 Fuß-Platzrunde reduziert man die Speed auf maximal 130 Knoten. Im Gegenanflug kommt das Fahrwerk raus. Fahrt runter auf 120 Knoten, dann Klappen auf 15 Grad, 110 Knoten halten. In der Endanflugkurve Flaps auf 30 Grad, Speed auf 95 bis 100 stabilisieren. Vorsicht beim Herausziehen der Power, das Triebwerk braucht satte 14 Sekunden zum Hochlaufen!

Im Endanflug sollten etwa 70 bis 75 Prozent Leistung gesetzt bleiben, nie unter 56. Das Handbuch rät, den Flieger mit dem Bugrad „in die Bahn“ zu fliegen und nicht abzufangen; etwa horizontale Lage genügt. Über der Schwelle kommt der Schubhebel in den Leerlauf, die Fahrt runter auf 85 Knoten. Der Flieger setzt sich bei rund 76 Knoten hin. Jetzt die Nase so lange wie möglich oben halten, um aerodynamisch zu bremsen. Flugschüler aller Luftwaffen nehmen ihre Maschinen ordentlich ran und geizen nicht mit abrupten g-Manövern und harten Landungen. Gerade ein erfolgreiches Flugzeug wie die L-29 muss darum gutmütige Flugeigenschaften haben. Die Maya ist berühmt für ihre unverwüstliche Konstruktion, simple Bedienung und Flugstabilität. Dabei bedarf es nicht einmal asphaltierter Bahnen: Zur Not rumpelt sie sogar über Gras- oder Schotterpisten. Wer weiß schon, wie viele Wodkagläser dankbare Piloten nach bestandener Ausbildung geleert haben.

Manch stolzer MIG-29-Pilot wird mit nostalgischen Gefühlen an seine Platzrunden in der Maya zurückdenken. Gute Flugzeuge haben ein langes Leben. Heute kann jeder das Düsenfeeling der Warschauer-Pakt-Piloten schnuppern, denn die L-29 wird auf Erlebnistrips eingesetzt. Einmal Helm und Maske tragen, beim Fünffachen des Körpergewichts schwitzen? Zur Verwandlung vom Büromenschen zum Tom-Cruise- Top-Gun-Piloten braucht es nur eine Handvoll Dollar – oder ein Quentchen Glück. Ein fliegermagazin-Leser kann das Top-Gun-Gefühl selbst erleben!

Bei der NVA auf L-29 Fliegen gelernt

Bernd Dittrich war Pilot bei der NVA. Er hat auf der L-29 geschult und seinen ersten Soloflug absolviert – ohne jahrelange Vorbereitung: „Nach zehn Monaten Theorieausbildung steht für mich am 17. März 1976 mein Erstflug mit der L-29 an. In meiner Gruppe sind schon alle geflogen, einige bereits 150 Stunden bei der Gesellschaft für Sport und Technik, ich hingegen erst drei Stunden. Das scheint meinen Fluglehrer nicht sonderlich zu interessieren: Drei Wochen später schickt er mich nach nur 34 Starts und Landungen zum ersten Soloflug in die Platzrunde – in einem Jet, wohlgemerkt. Warum diese Eile? Der Lehrer wollte mit seiner Fluggruppe der schnellste im Wettbewerb sein. Aber warum bei diesem miesen Wetter? Ich war der letzte Freiflieger der Fluggruppe. Also los! In der Platzrunde habe ich im Gegenanflug noch die Bahn im Blick – keine Panik. Doch plötzlich schluckt der Dunst meinen visuellen Rettungsring.

Fürchterliche Gedanken schießen mir durch den Kopf: Wenn ich die Bahn nicht finde, katapultiere ich mich raus! Soweit kommt es dann doch nicht, im Queranflug taucht die Piste wieder auf. Dann der Anflug, und die Landung. Beides wird mit der Note „2“ quittiert. Schubhebel nach vorn und abheben: gleiche Sichten, gleiche Gedanken – aber dann die Note „3“. Überglücklich steige ich aus und streichel „mein“ Flugzeug. 113 Stunden habe ich insgesamt mit der L-29 in der Luft verbracht. Heute, rund 9000 Flugstunden und 26 000 Landungen später, bringe ich als Fluglehrer Anfängern das Fliegen bei. Aber zum ersten Soloflug wird von mir niemand gepeitscht!“

Text: Rolf Stünkel; Fotos: Stephan Heinrich/Wolfgang Rödel; fliegermagazin 5/2005

Technische Daten
Aero L-29 Delfin
  • 10,29 m
  • 19,80 qm
  • 10,81 m
  • 3,13 m
  • 2280 kg
  • 3540 kg
  • Strahltriebwerk Motorlet M-701 C500
  • 40 000 ft
  • 580 NM (mit Zusatztanks)
Schlagwörter
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