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Klassiker-Porträt: TEMCO Swift GC-1B

Sie gilt als zickig, schwierig bei Start und Landung und im Stall sowieso. Aber sie ist wunderschön! Henning Joest hat eine 48er Swift zehn Jahre lang restauriert, bis sie wieder flugfähig war.

Von Peter Wolter
Prachtstück
Prachtstück: P-40, Bf 108, Spartan Executive – die Swift löst viele Assoziationen aus. Doch sie ist etwas ganz Besonderes, auch durch ihr Höhenleitwerk mit V-Form. Foto: Peter Wolter

Keine Farbe – allein das macht die N77755 schon zum Hingucker. In den USA ist sowas gar nicht so ungewöhnlich, und man denkt sich sofort: Die kommt bestimmt aus Nevada oder Arizona, wo die Luft trocken und eine Lackierung überflüssig ist. Aber in Norddeutschland, nahe der Küste? Viel Regen, salzige Luft – das kann nicht gutgehen. Zur Beruhigung werden dann immer Geschichten erzählt, wie oft der Besitzer alles Unerwünschte wegpoliere, zig Stunden pro Jahr. Und Anfassen nur mit Baumwollhandschuhen!

Henning Joest ist anders. Seine TEMCO Swift hat er nicht auf Hochglanz getrimmt. Nachlässigkeit? Oder die Hybris eines Besitzers, der glaubt, dass Witterungseinflüsse für ihn keine Rolle spielen?

Hingucker: Die TEMCO Swift GC-1B ist nicht lakiert

Zehn Jahre hat er gebraucht, um die N77755 in einen Zustand zu versetzen, den eine Poliermaschine nicht verbessern könnte. Die Oberfläche der Swift verrät allerdings: Das ist kein Millionärsflugzeug, mit unendlich viel Aufwand auf „besser als neu“ restauriert, sondern eine 73 Jahre alte Maschine, der man die handwerkliche Arbeit ansieht, die in ihr steckt. Nackt zeigt sie sich so, wie sie ist: perfekt. Spachtel und Farbe würden sie lediglich so erscheinen lassen.

Es ist nicht mehr nachprüfbar, ob die Geschichte stimmt, die von der Swift Museum Foundation, dem heutigen Besitzer der Swift-Musterzulassung, über den Ursprung des Typs erzählt wird: Der Texaner R. S. „Pop“ Johnson ließ sich 1940 eine Culver Cadet kommen, hat sie aber nicht gekauft, sondern vermessen und auf dieser Grundlage sein eigenes Flugzeug gebaut. Das nannte er dann Swift. Für die kommerzielle Herstellung gewann er den Unternehmer John Kennedy aus Fort Worth, dessen Globe Aircraft Company in Lizenz Beech AT-10 fertigte und darüber hinaus fürs Militär tätig war. Gemeinsam mit Globe-Chefingenieur K. H. „Bud“ Knox bereitete Johnson, mittlerweile im Unternehmen angestellt, die Serienproduktion der Swift vor. Es entstanden zwei Prototyen, einer aus Holz, der andere in Holz-Metall-Gemischtbauweise, aus denen die Ganzmetall-Version
GC-1A hervorging. Im May 1946 erhielt die „All Metal Swift“ ihre Musterzulassung.

Warhawk-Gene: Der Erbauer hat zuvor die P-40 Warhawk konstruiert

Dieses Flugzeug trägt unverkennbar die Handschrift von Bud Knox, der von Curtiss gekommen war und dort die P-40 Warhawk mitkonstruiert hatte. In der Draufsicht gleichen sich die beiden Muster frappierend: Skaliert man die Größenverhältnisse so, dass die Flügelwurzeln gleich tief sind, ergeben sich praktisch die gleichen Spannweiten, Flügelzuspitzungen und Leitwerksträgerlängen. Auch die Form des Seitenleitwerks und die der Randbögen erinnern stark an den Curtiss-Jäger.

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Schon 1946, im ersten Produktionsjahr, erhielt die untermotorisierte Maschine ein anderes Triebwerk: Der 85-PS-Continental wurde durch einen 125 PS starken Motor der gleichen Marke ersetzt, ebenso der Festpropeller durch einen Verstellprop. Die Typenbezeichnung lautete jetzt GC-1B. In nur sechs Monaten entstanden 833 Exemplare dieser Version, 504 bei Globe, der Rest bei TEMCO (Texas Engineering and Manufacturing Company), einem Fertigungspartner im nahe gelegenen Grand Prairie. Doch Globe hatte sich übernommen, zu viele Swifts fanden keinen Käufer – 1947 ging der Hersteller pleite. Als größter Schuldner übernahm TEMCO die Rechte an dem Muster. Bis August 1951 verließen weitere 260 GC-1B die Produktion in Grand Prairie.

Restaurierung: 3500 Stunden steckte Henning Joests Swift in das Projekt

Eine davon ist Henning Joests Swift, Baujahr 1948. Durch eine Anzeige wurde der Hesse im Jahr 2009 auf die N77755 aufmerksam. Er wollte ein eigenes Flugzeug, einen Taildragger und selbst daran schrauben. Der Eigentümer hatte die Maschine in den USA gekauft, nach Deutschland verschiffen lassen, dann aber keine Zeit für die Restaurierung. Henning nahm sie sich: Zirka 3500 Stunden steckte er in das Projekt. Unter anderem hat er die Außenflügel neu aufgebaut, Rumpfbleche durch stärkere ersetzt, die gesamte Zelle von innen gegen Korrosion geschützt, Systeme wie Fahrwerk und Antrieb überholt …

Radikalkur: In einer Helling werden die Außenflügel komplett neu aufgebaut. Epoxy-Primer (grün) schützt vor Korrosion – TEMCO ließ alles blan.

2019 endlich konnte die Restaurierung abgeschlossen werden – und da war kein Amateur am Werk, der erst mal viel lernen musste: Bei Lufthansa Technik in Frankfurt hatte der Hesse eine Lehre zum Fluggerätemechaniker gemacht, dann Maschinenbau studiert, heute arbeitet er bei Airbus in Hamburg als Ingenieur für Wartbarkeit und Zuverlässigkeit. „Die Lehre war die perfekte Ausbildung, von der ich heute noch an drei von fünf Tagen in meinem Job profitiere“, sagt der 46-Jährige. Bei der Swift-Restaurierung half sie ihm sowieso. Die hätte noch länger gedauert, wenn er nicht an allem, was klein genug war, zu Hause hätte arbeiten können. Trotzdem diente ein Hangarplatz in Uetersen noch jahrelang als Werkstatt, bis alles fertig war. 

Keine Aerodynamische Gründe: die Swift ist mit einem V-Leitwerk ausgestattet

Als ich mich in EDHE seinem Flugzeug nähere, schießen mir Geschichten über die Swift durch den Kopf. Als Biest wird sie bezeichnet, tricky bei Start und Landung, sie breche gern aus, und ein Strömungsabriss sei unbedingt zu vermeiden, da drohe Flachtrudeln … „Diese Gefahr bestand nur bei den frühen Versionen mit den kleinen Motoren“, sagt Henning. Sein Flieger wurde bereits in den USA auf einen Lycoming IO-360 mit 200 PS umgerüstet, damit liegt der Schwerpunkt weiter vorn.

Scheinheilig: Mit ihrem breiten Fahrwerk wirkt die Swift sehr solid. Doch der Rumpf ist kurz und das Seitenleitwerk klein…

Was an der Swift sofort auffällt, ist die V-Stellung des Höhenleitwerks. Aerodynamische oder betriebspraktische Gründe gibt es dafür nicht. Überliefert ist, dass Bud Knox dieses Leitwerk einfach gefiel; dafür nahm er erhöhten Bauaufwand und Materialeinsatz in Kauf. Vielleicht dachte er auch: Mit jedem Grad V-Stellung, das ich dem Höhenleitwerk gebe, kann ich das Seitenleitwerk kleiner machen – und am Ende hat er den V-Leitwerkseffekt überschätzt. Denn klein ist das Seitenleitwerk tatsächlich.

Globe und TEMCO Swift: wenige Unterschiede

Beim gemeinsamen Rundgang um das Flugzeug erklärt mir der Besitzer den Unterschied zwischen Globe und TEMCO Swift: Bei der Globe reicht die Verglasung des Kabinendachs weiter nach hinten, bis dorthin, wo die TEMCO-typischen „D-windows“ enden. Die Gepäckablage hinter den Sitzen verläuft in der TEMCO horizontal, in der Globe wölbt sie sich hinten nach oben. Darüber hinaus sind die Flugzeuge identisch.

Typisch TEMCO: Die D-förmigen Fenster unterscheiden diese Swift von der Globe-Version. Henning Joest gefällt seine besser. Die vorderen Seitenfenster schiebt man nach unten.

Ihr lächelndes Gesicht verdankt die N77755 der Original-Cowling, deren Kühlergrill auch von einem 48er Buick stammen könnte. „Die meisten Swift haben einen O-300 mit 145 PS, da sitzt der Vergaser unten und der Luftfilterkasten vorn“, erklärt Henning, „deshalb war die kinnförmige Ausbuchtung an der Motorhaube notwendig. Mein IO-360, ein Einspritzer, braucht sie nicht, aber sie gefällt mir.“ Ja, die Schnauze wirkt dadurch wuchtiger, irgendwie potenter im Vergleich zu den meist aus GfK gefertigten Swift-Cowlings ohne Kinn. Oben auf der Motorhaube zeugt ein Detail von der Hingabe, mit der Henning sein Flugzeug restauriert hat: Der Öldeckel, den es hier serienmäßig nicht gibt, besteht aus genau dem Blechstück, das er an dieser Stelle ausgesägt hat. Martin Winterkorn hätte seine Freude am Spaltmaß!

Viele Änderungen: Die Swift ist ein Certified Aircraft

Bei fast allem, was mir der Markenkenner zeigt, kommt der Hinweis auf Varianten, die zugelassen seien, per STC oder „field approval“, eine Änderung, die sich im Einzelfall bewährt hat und bei anderen Swifts übernommen werden darf. Die Liste ist lang: Steuerknüppel statt -hörner, abgedeckte Vorflügel („closed wing“), Flügeltüren oder Schiebehaube anstelle des nach vorn öffnenden Dachs und der Seitenfenster, die in den Bordwänden versenkt werden, kleinere Räder, Scheiben- statt Trommelbremsen, öl- statt luftgedämpfte Hauptfahrwerksbeine, verstärkte Flügelanschlüsse, schrittweise ausfahrbare Landeklappen (Standard sind 0 und 30 Grad), gekürzte Stallstrips, unterschiedlich große Zusatztanks, Motoren bis 260 PS, Sitze von der Cessna 150 und Wingtips von der Globe Buckaroo.

Ölgedämpft – das Spornrad ist nicht bloß gefedert. Schwenkt es weit aus, löst sich die Seitenruderkoppelung.

Etwas vergessen? „Die Swift gilt als ›certified aircraft‹ mit den meisten Änderungen“, sagt Henning. Er kennt einen Amerikaner, der sogar einen O-540 mit 350 PS einbaut, die Fläche um zehn Zentimeter nach vorn versetzt und die Einstellwinkeldifferenz ändert. Das klingt eher nach Reno Air Races als nach ›certified aircraft‹.

Mit 80 Meilen steil nach oben: Im Cockpit fühlt man sich wie in einem Sportwagen

Wie sie so dasteht auf dem Gras in Uetersen … Die Spurweite des Fahrwerks in Relation zur Rumpflänge – sie dürfte bei wenigen Flugzeugen extremer sein. Vielleicht bei einer Gee Bee. Der US-Luftfahrtjournalist Budd Davisson hat mal geschrieben, die Swift stehe da wie ein Boxer der Bantamgewichtsklasse. Ich denke an ein Hängebauchschwein und fühle mich schlecht, weil der Vergleich unfair ist.

Original: Steuerhörner und Instrumentierung verraten, wann das Muster entstanden ist. Das kleine GPS stört nicht. Bremsen gibt’s nur auf der linken Seite, Umrüstung auf Steuerknüppel ist möglich.

Fliegen wir. Im Cockpit fühlt man sich wie in einem Sportwagen, obwohl der Flieger unsportliche und sehr zierliche Steuerhörner hat. Das Überraschendste aber ist die Trimmkurbel: oben hinter den Sitzen! Sonst – na ja, schön alt und alles in beeindruckendem Zustand. Zwischen den vielen Uhren ist im Instrumentenbrett nur ein kleines GPSMap 296 verbaut, als Backup, normalerweise benutzt der Pilot ein Tablet auf dem Schoß. Das Fahrwerk wird über einen schwenkbaren Hebel im Panel bedient, die Klappen per Drehknopf daneben.

„Stay on the rudder“: Beim Start muss man das rechte Pedal nutzen

Wegen des kleinen Leitwerksvolumens kommt es beim Start darauf an, von vorn herein das rechte Pedal zu benutzen – „you have to stay on top of the rudder!“, hat ein Swift-Spezialist Henning eingebläut. Bei starkem Wind von links kann sogar ein voller Ruderausschlag nicht genügen, dann muss man auf den ersten Metern zusätzlich rechts bremsen.

Wir rollen los, Henning lässt das Heck am Boden, erst bei 40 bis 50 miles per hour hebt er es an – „wenn du zu früh drückst, biegst du sofort nach links ab“, sagt er. Der Anfangssteigflug ist relativ steil, damit wir unter 80 miles per hour bleiben, solange die Räder draußen sind; man will in dieser Phase ja nicht am Gas spielen. Die Klappen sind beim Start dringeblieben.

Einfacher Kunstflug: Die Swift hat verstärkte Flügelanschlüsse verbaut

Im Reiseflug mit 22 inch hg Ladedruck und 2300 rpm zeigt der Fahrtmesser 140 mph an, jetzt verbraucht der IO-360 zirka 33 Liter pro Stunde. Bei „25/25“ erreichen wir rund 160 mph. Nicht mehr? Das Design ist „clean“, aber es gibt viele Verschlüsse, Griffe, Spalte, Niete und andere Unebenheiten – das bremst. Hennig findet die Speed dennoch beeindruckend: „Ich genieße es mittlerweile sehr, zu meinem Vater nach Frankfurt zu fliegen, manchmal noch schnell am Samstagabend mit meiner Tochter. In eineinhalb Stunden sind wird dort.“

kleiner Jägerkleiner Jäger
Kleiner Jäger: Agilität um alle Achsen lädt zu dynamischen Manövern ein. 4,8 g sind bei der N77755 das Limit.

Das sensible Höhenruder ist das erste, das mir auffällt, nachdem ich das Steuer übernommen habe. Die Querruderwirkung ist schwächer – aber mehr als ausreichend, wie mir der Besitzer zeigt: Er fliegt mal eben
eine Rolle, anschließend eine geviertelte – „ich hab die verstärkten Flügelanschlüsse drin“, sagt er, „damit sind 4,8 g möglich.“ Beruhigend. Auch sein fliegerischer Background: Kunstflugrating, eine Menge Taildragger-Erfahrung auf zahlreichen Typen, und selbst der Spruch, jemand habe das Fliegen schon mit der Muttermilch eingesaugt, stimmt bei ihm – als er sechs Wochen alt war, ist seine Mutter mit ihm Platzrunden geflogen. Eine Fluglehrerin.

Keine Dreipunktlandungen: Speed und Bodenabstand müssen genau passen

Stalls machen wir nicht. Power-off hat Henning schon welche probiert: Löst sich die Strömung ab, beginne das Flugzeug zu leicht wippen, bevor es harmlos nach links weggehe. „Das war überhaupt nicht kritisch, sowohl mit als auch ohne Klappen.“

FahrwerkschachtFahrwerkschacht
Viel Widerstand: Der Fahrwerksschacht reicht weit in die Profilnase. Bei großem Anstellwinkel bremst er abrupt. Das erschwert Dreipunktlandungen.

Im Landeanflug achten wir darauf, früh genug langsam zu werden. Bei 100 Meilen darf das Fahrwerk raus, bei 90 die einstufigen Klappen, beide Systeme erhalten ihren Druck aus derselben elektrohydraulischen Pumpe. Im Quer- und im Endanflug passen 80 Meilen. „Dreipunktlandung?“, frage ich, „nein, Radlandung“, sagt der Mann neben mir. Aber der hat’s doch drauf? Den Grund erfahre ich später: Dreiunkt-Landungen sind heikel, weil Speed und Bodenabstand beim Ausrunden genau stimmen müssen. Ab einem gewissen Anstellwinkel bremsen die weit in die Profilnase reichenden Fahrwerksschächte nämlich ziemlich abrupt. Ist man dann nicht am Boden, stallt der Flieger, kippt aufs linke Fahrwerk und nimmt eventuell Schaden.

Schräger Vogel: Zum Tanken muss die Swift auf der einen Seite angehoben werden

Auf kurzen Plätzen ist Henning schon dreipunktgelandet, aber in Uetersen muss das nicht sein. Weniger kritisch sind solche Landungen mit der „small wheel mod“. Dann erhalten die Fahrwerksschächte rings um die kleineren Räder eine Abdeckung, die zur Folge hat, dass mit zunehmendem Anstellwinkel der Widerstand nicht so stark wächst. Dadurch hat man beim Ausrunden mehr Zeit. Aber dem Besitzer der N77755 gefallen die großen Originalräder besser, obwohl sie in eingefahrenem Zustand vorn aus der Flügelkontur ragen.

Beim Tanken überrascht mich die Swift ein letztes Mal. Henning zerrt den linken Flügel nach oben – die Slats sind wirkungslos, aber gute Griffe –, bis die Karre einseitig ausgefedert dasteht. Dann füllt er auf der hohen Seite Sprit ein. Würde der Flieger horizontal stehen, bekäme man den rechten Tank nicht voll; er ist mit dem linken verbunden und hat keinen Einfüllstutzen. Wie schräg! Aber auch etwas, das zur Faszination der Swift beiträgt. Könnte fast ein englisches Flugzeug sein.

Über den Autor
Peter Wolter

Peter Wolter kam vom Drachenfliegen zur motorisierten Luftfahrt und von der Soziologie zum Journalismus. Er steuert ULs sowie E-Klasse-Maschinen und hat sein eigenes UL (eine Tulak) gebaut.

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