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Was sollten Piloten beim Steuern einer Twin beachten?

Eine Twin soll auch dann noch fliegen, wenn ein Triebwerk ausfällt. Darauf muss sich der Pilot aber einstellen.

Von Redaktion
Schubachse
Kritisches Triebwerk: Die effektive Schubachse des rechten Props hat einen längeren Hebel zur Flugzeuglängsachse als die des linken – das abwärts laufende »kräftigere« Blatt wirkt auf der rechten Seite weiter außen. Deshalb ist ein Ausfall des linken Motors besonders ungünstig. Foto: Eric Kutschke

Das Anspruchsvolle beim Fliegen von Mehrmotorigen ist nicht das Fliegen mit mehreren Motoren. Sondern das mit nur einem. Was für Nichteingeweihte zunächst absurd klingt, verwundert kaum noch, sobald man sich mit der Flugphysik mehrmotoriger Maschinen befasst, vor allem mit jener bei einem Triebwerksausfall.

Die überwältigende Anzahl von Kolbenmotor-Twins folgt derselben Bauart: Zwei identische Triebwerke, rechts und links an der Tragfläche montiert, erzeugen Vortrieb. Im normalen Flugbetrieb sorgt dieses Konzept für beeindruckende Flugleistung bei hoher Zuladung. Doch fällt ein Motor aus, schwinden die Margen erheblich.

Twin: Mehr Widerstand bei ausgefallenem Triebwerk

Steht der Propeller des ausgefallenen Triebwerks, erzeugen seine Blätter einen erheblichen Widerstand. Mit hoher Drehzahl vom Fahrtwind angetrieben kann ihr Widerstand sogar so groß sein wie jener der gesamten Flugzeugzelle. Um das zu verhindern, lassen sich die Blätter einer Twin in Segelstellung bringen. So stehen sie nahezu parallel zur Flugrichtung.

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Aus gutem Grund unterscheiden sich die Props mehrmotoriger Flugzeuge in ihrem Aufbau von Verstellprops an Singles. Bei diesen erhöht der Öldruck des Propellerreglers den Blattanstellwinkel. Fällt der Druck ab, etwa bei einem Defekt des Prop-Governors, reduziert sich der Blattanstellwinkel (für hohe Drehzahl), was maximale Triebwerksleistung ermöglicht.

Bei mangelndem Öldruck nehmen die Propeller einen hohen Anstellwinkel ein

Bei Twins hingegen führt mangelnder Öldruck dazu, dass die Propellerblätter einen hohen Anstellwinkel einnehmen, damit sie nach einem Triebwerksausfall wenig Widerstand verursachen. Weil die aerodynamischen Kräfte aber einen kleinen Anstellwinkel erzwingen wollen, sind an den Blättern von Twins Gegengewichte angebracht. Deren Zentrifugalkräfte ziehen die Blätter trotzdem in Segelflugstellung.

Im Mehrmotorigen-Training wird die Segelflugstellung meist nur simuliert. Man zieht dann die Leistung am „ausgefallenen“ Triebwerk nicht ganz auf Leerlauf, sondern nur soweit, bis der Propeller weder Schub erzeugt noch bremst. Denn auch ein wirklich gefeatherter Propeller erzeugt kaum nennenswerten Luftwiderstand.

Steigleistung bricht ein: Bis zu 90 Prozent Verlust

Der Performance-Verlust im Einmotorenflug ist selbst dann noch erheblich: Wird die Twin zur Single, büßt sie nicht selten bis zu 90 Prozent ihrer Steigleistung ein. Auch die maximale Reiseflughöhe ist dann geringer. Deshalb ist die Dienstgipfelhöhe im Einmotorenbetrieb eine wichtige Zahl, die es besonders beim Flug über hohem Gelände zu beachten gilt. Fällt ein Triebwerk aus, sinkt das Flugzeug auf diese Höhe.

Wer das als großen Nachteil zweimotoriger Maschinen betrachtet, sollte sich bewusst machen, dass die Flugleistungen einer Twin bei einem Motorausfall noch deutlich besser sind als die einer Single, wenn deren einziges Triebwerk streikt… Vorausgesetzt natürlich, der verbleibende Motor der Twin verrichtet weiterhin zuverlässig seinen Dienst. Er muss im Einmotbetrieb die fehlende Leistung bestmöglich ausgleichen, in den meisten Flugphasen ist dafür sogar Vollgas nötig.

Asymmetrische Schub: Starke Beeinflussung der Steuerbarkeit

Der so auftretende asymmetrische Schub beeinflusst die Steuerbarkeit der Maschine und ist deshalb neben der Performance-Einbuße die zweite Herausforderung, die der Pilot bei einem Triebwerksausfall zu meistern hat. Dann macht es bei konventionellen Mehrmotorigen einen Unterschied, welches der beiden Triebwerke den Dienst quittiert.

P-FaktorP-Faktor
P-Faktor: Mit dem Anstellwinkel des Flugzeugs wächst der Anstellwinkel des nach unten laufenden Propellerblatts – und damit dessen Schub.

Grund dafür ist der P-Faktor: Je mehr die Schubachse des Props einen Anstellwinkel bildet gegenüber der Bewegungsrichtung des Flugzeugs, desto ungleicher ziehen das abwärtslaufende und das aufwärtslaufende Blatt. Abwärts addiert sich der Blattanstellwinkel zum Anstellwinkel des Flugzeugs – das erhöht den Schub. Aufwärts hingegen verringert der Anstellwinkel des Flugzeugs den Blattanstellwinkel – dadurch nimmt der Schub ab. US-amerikanische Boxermotoren sind in der Regel Rechtsläufer, folglich zieht die rechte Seite des Propellerkreises (mit dem abwärts laufenden Blatt) im beschriebenen Flugzustand besser als die linke – je stärker das Flugzeug angestellt ist, desto mehr. Und im Einmot-Betrieb ist der Anstellwinkel besonders groß, weil Geschwindigkeitseinbuße kompensiert werden muss.

Ein Ausfall des linken Triebwerks is kritischer

Da am rechten Triebwerk die rechte Seite des Propellerkreises weiter außen ist als am linken, wirkt sich der Hebelarm des Antriebs auf dieser Seite des Flugzeugs stärker aus als auf der anderen. Ein Ausfall des linken Motors ist also kritischer als einer des rechten. Die Mindestgeschwindigkeit Vmc, mit der das Flugzeug im Einmotorenflug noch kontrollierbar ist, wird deshalb beim Ausfall des kritischen Triebwerks ermittelt.

Bei manchen Twins beseitigen unterschiedliche Drehrichtungen der beiden Motoren das Problem des kritischen Triebwerks. Während der linke Motor im Uhrzeigersinn läuft, rotiert der rechte Prop in die entgegengesetzte Richtung. Auf diese Weise ziehen die nach unten laufenden Blätter beider Props gleich gut und auch noch rumpfnah: Der Hebel, um den sie das Flugzeug im Einmotbetrieb gieren lassen, ist kurz.

Kein Seitenruder im Steigflug: Bei gegenläufigen Props treten keine Giereffekte auf

Überhaupt treten bei gegenläufigen Props keine antriebsbedingten Giereffekte mehr auf: Im Steigflug lässt sich die Maschine ganz ohne Seitenrudereinsatz angenehm fliegen. Während Piper bereits bei der letzten Modellreihe der Twin Comanche sowie den Nachfolgerinnen Seneca I und Seminole auf gegenläufige Propeller setzte, auch Beechcraft bei der Duchess, hielt das Konzept bei Cessna erst mit deren letzter Twin, der 303 Crusader, Einzug.

GegenläufigGegenläufig
Nicht mehr kritisch: Bei gegenläufigen Props spielt es keine Rolle, welches Trieb- werk ausfällt – die Folgen sind dieselben.

So praktisch gegenläufige Motoren im Flug sind, so unpraktisch sind sie in der Wartung. Die Produktionszahlen der „falschrum“ laufenden Exemplare sind deutlich geringer. Viele Ersatzteile müssen jedoch auf die linkslaufenden Triebwerke abgestimmt sein. Eine Vakuumpumpe für einen gängigen Flugzeugmotor hat die Werft womöglich im Regal liegen – aber eine für den seltenen linkslaufenden?

Asymmetrischen Schub vermeiden

Die Problematik des asymmetrischen Schubs lässt sich vermeiden, wenn die Motoren hintereinander in der Längsachse des Flugzeugs angeordnet sind. Der wohl bekannteste Vertreter dieser Bauart ist die Cessna Skymaster: Ein Continental IO-360 zieht vorn am Rumpf, der zweite schiebt hinten zwischen den Leitwerksträgern.

Push-pull-Konfiguration Push-pull-Konfiguration
Leichtes Spiel: Auch wenn ein Triebwerk ausfällt, bleibt bei der Push-pull-Konfiguration der Schub symmetrisch. Das macht Twins mit diesem Antriebskonzept im Notfall leicht beherrschbar.

Ein Triebwerksausfall ist durch die Push-pull-Anordnung deutlich leichter zu beherrschen: Im Einmotorenbetrieb mangelt es lediglich an Flugleistung, die Steuerbarkeit bleibt hingegen unverändert. Ganz ohne Tücken ist auch dieses Konzept nicht: Einige Skymaster-Unfälle ereigneten sich beim Start, weil der Pilot den Ausfall des hinteren Triebwerks schlicht nicht bemerkt hatte.

Das Push-Pull-Konzept konnte sich nicht durchsetzen

Totz seines erheblichen Sicherheitsvorteils konnte sich das Push-pull-Konzept letztendlich nicht durchsetzen. Grund dafür ist zumindest im lärmsensiblen Europa ein großer Nachteil im ganz normalen Flugbetrieb: Der Push-pull-Antrieb ist laut. Das betrifft nicht nur die Insassen, weil die Triebwerke im Rumpf sitzen statt außerhalb davon an der Tragfläche. Auch am Boden kommt viel Lärm an, denn der vordere Prop sorgt dafür, dass sich der hintere stets in einem verwirbelten Luftstrom bewegt. Dass die Cessna Skymaster als meistverkaufte Push-pull auch in Sachen Performance gegenüber konventionellen Twins nicht herausragen konnte, tat ein Übriges.

Heute haben Kunden, die sich für eine der aktuellen Zweimots interessieren, ohnehin keine Wahl: Bei sämtlichen neu erhältlichen Twins sind die Triebwerke an der Tragfläche platziert. Ein „Exotenstatus“ haftet dennoch jeder Twin mit Kolbenmotoren an: Nicht mal 100 Maschinen wurden zuletzt jährlich verkauft, zum großen Teil an Flugschulen. Zum Vergleich: 1979, in den goldenen Zeiten der Allgemeinen Luftfahrt, waren es 2843!

Text: Christof Brenner, Zeichnungen: Helmut Mauch, Illustrationen: Eric Kutschke

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