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Wasserflug in Deutschland: Das Stiefkind der Fliegerei?

Drei Sonderlandeplätze – mehr gibt’s bei uns nicht für private Wasserflugpiloten. Ein paar weitere Wasserflächen sind Firmen vorbehalten. Andere europäische Staaten sind da weniger restriktiv. Überlegungen zu einem Stiefkind der Fliegerei in Deutschland.

Von Redaktion
Wasserflugausbildung
Selten: Wasserflugausbildung in Deutschland, hier mit der PA-18 von Drive & Fly über der Mosel-Schleuse Wintrich. Foto: Frank Herzog

Die glitzernden Linien der Wellen zeigen mir die Windrichtung an. Ich sehe keine Schaumkronen, die Wellen sind also nicht zu hoch. Segelboote kreuzen, auch ein paar Motorboote ziehen ihre Spur. Eine freie Fläche bietet genügend Platz zur Landung – genauer: zur Wasserung. Ich lege mir meine eigene Platzrunde zurecht und gehe tiefer. Die Klappen sind gesetzt, die Fahrwerkanzeige leuchtet blau – Räder eingefahren. 110 km/h, Endanflug.

Es ist nur ein Scheinanflug, denn ich muss mich überzeugen, dass es keine Untiefen gibt, keine Steine im Wasser und vor allem keine Fischernetze, denn die sind schwer zu erkennen. Also fliege ich in 500 Fuß leicht versetzt zu meiner „Bahn“ und scanne die Wasserfläche. Dann Vollgas, Rechtskurve, noch eine Platzrunde und erneuter Anflug.

Wasserflug in Deutschland: Andere Länder machen es vor

In wenigen Zentimetern Höhe schwebt der Flywhale aus… Wasserberührung, Knüppel ganz zurück, etwas mehr Gas, und auf Stufe geht es dem Ufer entgegen. Soll ich aufrollen? Ich kenne die Festigkeit des Ufers nicht, also lasse ich das Fahrwerk eingefahren. Motor aus. Sanft berührt der Kiel des Flugboots den Ufersand. Nasse Füße nehme ich in Kauf; ich steige aus und sichere das Flugzeug mit einer Leine. Am Ufer steht ein einsames Schild: „Fiske forbudt!“ Angeln darf ich hier nicht. Aber landen durfte ich. Ich bin in Schweden. Wäre so etwas für Deutschland denkbar?

WasserungWasserung
Viel Platz: Flywhale bei der Wasserung auf dem Sedlitzer See. Hier ist noch eine weitere Start- und Landerichtung ausgewiesen, quer zur „12“, die das UL-Amphibium gerade benutzt.

Unser schönes Heimatland hat eine im europäischen Vergleich recht liberale Luftraumarchitektur, aber dennoch eine einengende Regulierungsfülle. Grundsätzlich ist es verboten, auf deutschen Gewässern Wasserflug zu betreiben. Ausnahmen sind drei Sonderlandeplätze mit PPR-Regelung sowie eine Handvoll Wasserflächen, für die ganze drei Wasserflugzeugbetreiber eine Außenlandegenehmigung haben. Doch selbst auf einem Sonderlandeplatz kann es umständlich sein zu wassern: Auf dem Sedlitzer See, einem gefluteten Tagebau in der Lausitz, muss sichergestellt sein, dass ein Rettungsboot während der Landung patrouilliert.

Wasserflug verboten! Aber warum?

Warum eigentlich? Wenn ich auf einem der vielen Seen in Schweden oder Finnland runtergehen will, ist da auch kein Rettungsboot. Also überlege ich mir vorher dreimal, ob ich in der einsamen Wildnis alleine wassere. Warum glaubt der deutsche Staat, sich darum sorgen zu müssen, dass mir nichts passiert?

SchwedenSchweden
Angelandet: In Schweden laden zahlreiche Seen zum Wasserflug ein. Die Freiheit ist aber auch hier nicht grenzenlos. So sind etwa Vogel- und Wasserschutzgebiete tabu.

Begründet wird die Regulierungsenge in der Regel damit, dass auf deutschen Gewässern reger Verkehr herrsche, dass Lärmschutz für Anwohner gewährleistet sein müsse und der Naturschutz berechtigte Ansprüche habe. Das ist richtig, aber ist das nicht überall so? Wer in Schweden Wasserflug betreiben will, ist gut beraten, sich vorher eine Karte der Vogelschutzgebiete und der kommunalen Wasserschutzgebiete zu besorgen. Dann wird er staunen, wo überall er mit seinem Wasserflugzeug nicht runter darf. Missachtet der Pilot das, können die Schweden sehr ungnädig werden.

Wasserflug: Das Stiefkind der allgemeinen Luftfahrt

Natürlich muss der deutsche Staat bei Interessenkonflikten ausgleichend wirken, aber das ist in anderen europäischen Landern wie Dänemark, Polen, Italien oder Finnland ähnlich. Selbst das kleine Belgien hat 2018 den Stausee de l’Eau d’Heure südlich von Brüssel für Freizeitspaß freigegeben und dort die Wasserfliegerei ausdrücklich eingeladen, inklusive Bau einer betonierten Aufrollrampe. Und in der polnischen Region Masuren kann es geschehen, dass ein Amphibien-Flugboot auf den Strand aufrollt, freudig umringt von neugierigen Badegästen.

PolenPolen
Beim Nachbarn Polen: Flugboot und Badende teilen sich an einem masurischen See das Ufer.

Warum geht das nicht auf der Müritz oder dem Steinhuder Meer? Und dass auf dem Bodensee, der Kinderstube des deutschen Wasserflugs, dieser Sport heute nicht ausgeübt werden darf, ist grotesk und beschämend. Nach meiner Erfahrung ist für Segler ein Wasserflugzeug auch kein Gegner, sondern eher ein interessantes Ereignis. Es kommt wohl nur darauf an, wie eng man die Dinge sieht. So gesehen ist bei uns der Wasserflug das Stiefkind der Allgemeinen Luftfahrt.

Wasserfliegerei vergessen: Im Luftverkehrsgesetz ist Wasserfliegerei nicht geregelt

Dieser Eindruck entsteht auch, wenn man die Rechtslage betrachtet. Bei der Ausgestaltung des Luftverkehrsgesetzes hat man die Wasserfliegerei einfach vergessen, denn mit ihren Eigentümlichkeiten hätte sie einer speziellen rechtlichen Regelung bedurft. Da es die nicht gibt, muss man in Analogie zu Landflugplätzen notgedrungen Paragraf 6 LuftVG auch auf das Genehmigungsverfahren für Wasserlandeflächen anwenden. Selbst die Bestimmungen für Start und Landung müssen in Ermangelung wasserflugspezifischer Regelungen aus Paragraf 25 LuftVG analog abgeleitet werden, womit Flugplatz- und Flugleiterpflicht leider auch für den Wasserflug gelten. Da mein Wasserflugzeug, sobald es schwimmt, hierzulande automatisch zum Boot mutiert, verlangen manche Bundesländer für Wasserflieger auch den Bootsführerschein.

Flensburger FördeFlensburger Förde
Ungewöhnlich in Deutschland: 500 Meter vom Ufer entfernt sind Wasserungen auf der Flensburger Förde erlaubt.

Genehmigungsverfahren für Wasserflugplätze sind kompliziert. Beim Sonderlandeplatz Flensburg-Sonwik waren 21 Behörden und andere Institutionen beteiligt. Am Ende sind es die für Luftfahrt sowie für Wasserstraßen und Schifffahrt zuständigen Landesämter, die Wasserflugplätze genehmigen. Die Initiative müsste vom Deutschen Wasserflieger-Verband kommen, für Luftsportgeräte von den UL-Verbänden DULV und DAeC. Zustimmen müssten unter anderem die Gemeinden, die touristisch und damit finanziell sogar vom Wasserflugsport profitieren könnten. Ob zum Beispiel die Vertreter der Gemeinde Seeblick im Amt Rhinow, die den UL-Wasserflug auf dem Hohennauener See abgelehnt haben, wirklich hinreichend informiert waren?

Leise Luftsportgeräte: eine Gefährdung für den Tourismus?

Vielleicht hätte man sie vorher mal mit an Bord nehmen sollen, damit sie sich selbst überzeugen können, dass die leisen Luftsportgeräte ihrem sanften Tourismus nicht entgegenstehen. Und warum nutzen wir nicht die Möglichkeit von Ausnahmegenehmigungen, um bei sommerlichen Dorffesten von Ufergemeinden Rundflüge mit Wasserflugzeugen anzubieten? Manches Vorurteil könnte vielleicht abgebaut werden, zumal auch noch Geld in die Gemeindekasse fließen dürfte.

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Hier käme den Ultraleichten eine besondere Rolle zu: Sie sind klein und leise, und durch ihre geringe Masse haben sie auch wenig Gefährdungspotenzial. Es gibt die Amphibien-Flugboote Flywhale, Catalina und demnächst die russische Borey, aber auch Landflugzeuge auf Floats wie C42 oder FK9. Weitere Wasserflug-Luftsportgeräte drängen nach, und die Zahl der Scheininhaber mit Berechtigung wächst jährlich. Sie alle warten auf nutzbare Gewässer. ULs könnten die Türöffner für die Wiedergeburt einer deutschen Wasserfliegerszene sein.

Förderungswürdiger Sport: Ein Kongress auf Mallorca soll Harmonisierung ermöglichen

Deutschland ist unter ordnungspolitischem Aspekt eines der bestorganisierten Länder der Welt. Aber vielleicht liegt gerade hierin das Problem: Wenn einer perfekten Verwaltung die Lebensfreude der Bürger aus dem Blick gerät, läuft der Staat Gefahr, paternalistisch zu werden. Dann weiß er, was jedem einzelnen guttut, und schreibt es ihm vor. Falls dies hier zutrifft, sollten wir das freundschaftliche Gespräch mit den Institutionen suchen und die Verantwortlichen davon überzeugen, dass es sich um einen förderungswürdigen Sport handelt.

BiscarrosseBiscarrosse
Traditionsreich: Wasserflugbasis in Biscarrosse. Schon vor elf Jahren haben die Franzosen hier 100 Jahre Wasserflug gefeiert. Noch nicht mal am Dornier- Standort Friedrichshafen gibt es so etwas auf dem Bodensee.

Im September soll auf Mallorca der erste Europäische Wasserflieger-Kongress tagen, Covid-19 vorbehalten. Vielleicht geht von dort auch ein Impuls aus, der die Europäische Union zur Harmonisierung bewegt. Es ist doch kurios, dass ich auf der Weichsel landen darf, aber nicht auf der Oder. Noch kurioser: Wo sich die Oder zum Stettiner Haff weitet, kann ich als deutscher Wasserflieger jederzeit auf der polnischen Seite des Flusses wassern und mich über das Winken der Segler auf der deutschen Seite der Oder freuen.

Ein paar Wasserflugplätze mehr? Das sollte doch möglich sein!

Noch ein Beispiel, das zeigt, was auf Erden alles möglich ist: In Anchorage, Alaska, liegt mitten im Stadtgebiet der kleine Lake Spenard, an dessen Ufer Wasserflugzeuge wie auf einer Perlenschnur aufgereiht ankern, keine 50 Meter von Wohnhäusern entfernt. Auf ein paar Holzschildern steht: „Warning – no lifeguard on duty“. Der Lake Spenard ist durch den Hood Canal mit dem ebenso kleinen Lake Hood verbunden; auf dem zirka 1000 Meter langen Kanal wird emsig gestartet und gelandet, nur wenige hundert Meter neben einer Piste des Anchorage International Airport. So viel Freiheit muss ja nicht gleich sein, aber ein paar ausgewiesene Wasserflugplätze mehr, der AIP-Eintrag „Keine Rettungswacht im Dienst“ und ein entsprechendes Schild vor Ort müssten doch auch für ein so weltoffenes Land wie unseres vorstellbar sein. Wenn nicht, bleibt die Wasserfliegerei ein Stiefkind.

Text: Erhard Gratz

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