Unfallakte

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Zusammenstoß mit Stromleitung: Diamond DA-20 Katana in der Schweiz

Tiefflug ist ein bisschen wie Offroadfahren: Man ist inmitten der Flora unterwegs. Der Nervenkitzel birgt jedoch unkalkulierbare Risiken.

Von Redaktion
Die Unfallmuster: DV 20 Katana, hier eine baugleiche Maschine (Foto: Hersteller)

Tief ist tabu. Mag das Umherstreifen in Bodennähe einen noch so großen Reiz ausüben, Otto-Normalpilot darf „die Sicherheitsmindesthöhe nur unterschreiten, soweit es bei Start und Landung notwendig ist“ (von Notfällen abgesehen). So regelt es das Gesetz. Fliegen in der Landschaft bleibt nur wenigen vorbehalten. Piloten von Militär- oder Agrarluftfahrzeugen zum Beispiel. Und natürlich Rettungshubschraubern. Diese suchen markante Landschaftsmerkmale, um sich auf ihrem Flug in Greifnähe zur Vegetation zurechtzufinden. Bei schlechtem Wetter sind für einen Heli, der auf einem Such- oder Rettungsflug unterwegs ist, Flüsse eine ausgezeichnete Orientierungshilfe. Diese müssen selbstverständlich frei von Hindernissen wie etwa Überlandleitungen sein. Im österreichischen Luftfahrtgesetz ist genau festgelegt, welche Wasserläufe die Rolle eines natürlichen „Wegweisers“ übernehmen dürfen. Viele sind es nicht.

Der Inn beispielsweise gehört nur an einigen Stellen dazu. Auf seinem Weg vom Malojapass im Schweizer Engadin nach Passau, wo er in die Donau mündet, stellt er zweimal auf mehreren Kilometern die nasse Grenze zwischen Deutschland und Österreich dar. Das Gewässer ist ein veritabler Strom, dessen Anblick vom Flugzeug aus zum Hinabtauchen verleitet – verspricht er doch wie eine „Luftstraße auf Bodenhöhe“ für eine gewisse Strecke sichere Kursführung. 30. Juni 2002: Bestes VFR-Wetter herrscht an diesem Sommertag. Ein 45-Jähriger und seine vier Jahre ältere Begleiterin waren am Vormittag mit einer Katana von Salzburg zu einem Flug nach Karlovy Vary in Tschechien gestartet. Beide haben die Privatpilotenlizenz, die Erfahrung des Mannes ist mit knapp 740 Stunden höher als die der Frau mit 200 Stunden.

Diamond D20 Katana: Flug von Salzburg nach Tschechien

Gegen zehn vor drei machen sie sich in Karlovy Vary auf den Heimflug. Bei Mühlheim am Inn verläuft der Strom ein kurzes Stück flussaufwärts ziemlich genau in Richtung Westen. Hier, im Voralpenland, hat der Fluss schon lange Abschied von den Alpen genommen und wird von einer Landschaft mit sanften Hügeln gesäumt, die nicht mit Reizen geizt. Unwiderstehlich kann die Versuchung sein, luftrechtliche Bestimmungen über Bord zu kippen und den Steuerknüppel nach vorn zu drücken, um die Natur hautnah zu erleben.

War es das, was Pilot und Pilotin wollten? Fakt ist: Sie fliegen seit geraumer Zeit tief. Sehr tief sogar. Doch keiner von beiden hat die Bewilligung dafür, die Mindestflughöhe zu unterschreiten. Mehrere Zeugen hören das gleichmäßige Brummen des Rotax, doch nicht jeder kann die Maschine hinter den Baumwipfeln sehen, so niedrig ist sie unterwegs. Geradewegs ins Unglück: Bei Stromkilometer 44,7 überspannen sieben Stahlaluminiumseile einer 220-Kilovolt-Freileitung den Inn. Sie führen in drei Ebenen über den Fluss. Das Ganze mutet wie ein Spanischer Reiter an, der den Luftraum direkt über dem Fluss versperrt. Das Hindernis ist zudem schwer auszumachen, denn an den Stromleitungen sind keine Kennzeichnungen angebracht. Zu allem Übel scheint der Besatzung auch noch die Sonne voll ins Gesicht.

Keiner von beiden hat die Bewilligung dafür, die Mindestflughöhe zu unterschreiten

Um 15.50 Uhr kommt es zur vorhersehbaren Katastrophe: Wie eine Fräse dringt ein knapp drei Zentimeter dickes Seil der mittleren Ebene, das 18 Meter über dem Gewässer verläuft, in die Katana ein und zerschneidet sie quasi der Länge nach: Teile des Propellers werden separiert, die Leitung dringt ins Cockpit ein, tötet den Piloten augenblicklich, verletzt die Frau (die vermutlich sofort das Bewustsein verliert) schwer und trennt schließlich einen Teil der Seitenflosse samt oben aufgesetztem Höhenleitwerk ab. Derart beschädigt klatscht das Flugzeug auf die Wasseroberfläche und versinkt. Gesehen hat den Crash niemand, nur gehört. Man ruft Feuerwehrleute zu Hilfe, die mit einem Arbeitsboot flussaufwärts eine Übungsfahrt durchführen und den Absturzgeräuschen zunächst keine Bedeutung beimessen; sie können lediglich einige Wrackteile bergen. Von dem Flugzeug – keine Spur.

Das bleibt auch zwei Tage lang so. Hubschrauber kämmen den Fluss bis zum nächsten Kraftwerk ab, auch deutsche Rettungskräfte beteiligen sich. Insgesamt 50 Taucher sind im Einsatz, doch erst am 2. Juli gibt es eine Spur – wenn auch nur akustisch: Wie es der Zufall will, bleibt der Notsender der Katana selbst unter Wasser funktionstüchtig, obwohl er nur gegen Spritzwasser geschützt ist. Doch die deutschen Hubschrauber, die mit Peilsendern ausgerüstet sind, stehen nicht mehr zur Verfügung – sie werden am Bodensee gebraucht, wo es einen Tag vorher nahe Überlingen zu dem grauenhaften Zusammenstoß zweier Verkehrsflugzeuge kam. Mit Handpeilern gelingt schließlich die exakte Ortung 250 Meter flussabwärts und 20 Meter neben der Einmündung der Mühlheimer Ache.

Kollision der Katana: Derart beschädigt klatscht das Flugzeug auf die Wasseroberfläche und versinkt

Das Wrack ist in einem üblen Zustand. Dennoch können die Experten der österreichischen Flugunfalluntersuchungsstelle einen technischen Defekt als Absturzursache ausschließen. Stutzig macht sie jedoch der hohe Kohlenmonoxidgehalt im Blut (CO-Hb) der Opfer. Der Mann war zwar starker Raucher, doch damit lässt sich ein CO-Hb-Gehalt von 17 Prozent nicht erklären. Bei sehr hohem Zigarettenkonsum erreichen Raucher höchstens 15 Prozent. Und die Pilotin, Nichtraucherin, wies einen CO-Hb-Gehalt von neun Prozent auf. In die Kabine gelangte das hochgiftige Gas durch einen drei Millimeter großen Riss im Bereich des Wärmetauschers. Die festgestellten Konzentrationen dürften die Frau jedoch so gut wie gar nicht belastet haben, beim Mann halten die Mediziner höchstens Symptome wie Kopfschmerzen und Müdigkeit für möglich. Unterschreiten der Mindestflughöhe, Blendung durch die Sonne sowie Kollision mit einem nicht gekennzeichneten Hindernis – den Unfallforschern wäre es nicht Unrecht, wenn Piloten an diesem Unfall „hängenbleiben“: in ihrer Erinnerung.

Sicherheitsempfehlungen

  • Seil- und Drahtverspannungen über Flussläufen, die als Schlechtwetterflugwege dienen und sich für Such- und Rettungsflüge eignen, sollten als Luftfahrthindernis eingestuft und als solche gekennzeichnet werden.
  • An die Adresse von Aufsichtsbehörden und Flugschulen geht die Aufforderung, die Mindestflughöhe stärker zu thematisieren. Im Rahmen der Aus- und Weiterbildung sollte nicht auf deren Einhaltung gedrängt werden. Anhand von Fallbeispielen wie etwa aus offiziellen Untersuchungsberichten lassen sich auch die Risiken aufzeigen, die mit Unterschreiten der Mindestflughöhe einhergehen.
  • Als Sofortmaßnahme wurde der Hersteller des Unfallmusters ermahnt, seine Flugzeuge so zu modifizieren, dass kein Kohlenmonoxid mehr über die Heizanlage in die Kabine dringen kann.

Text: Markus Wunderlich

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