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VoltAero Cassio 1: Hybride Antriebstechnologie

Eine Cessna Skymaster mit drei Kolbenmotoren? Von wegen! In diesem französischen Prototyp stecken fünf Elektromotoren und ein Verbrenner. VoltAero erprobt den komplexen Hybridantrieb für eine ganze Flugzeugfamilie.

Von Redaktion
VoltAero Cassio 1: Hybride Antriebstechnologie

Wenn Sie im Westen Frankreichs fliegen, in der Nähe von Royan-Médis (LFCY), hören Sie auf der lokalen Frequenz vielleicht die Kennung Fox Lima Tango. Dann sind Sie nicht weit entfernt von der der F-WOLT, dem ersten Hybridflugzeug in Frankreich. Von Weitem werden Sie die vage Silhouette einer bekannten Pushpull-Zweimot erkennen, der Cessna 337 Skymaster. Wenn Sie jedoch näher rangehen, entdecken Sie die Formen der Let 410, gemischt mit jenen der Lockheed P-38 und des sowjetischen Space-Shuttles Buran. Ein interessanter Mix beim Design! Und nicht nur da.

Geflogen wird der Prototyp mit dem Namen Cassio 1 von Didier Esteyne, dem VoltAero-Testpiloten, unterstützt vom ehemaligen Socata-Testpiloten Christian Briand und Eric Gérard, Testpilot bei Dassault.

VoltAero Cassio 1: Silhouette der Cessna Skymaster

Didier Esteyne? Genau: Er war es, der im Juli 2010 eine viermotorige elektrische Cri-Cri (20 Kilowatt) flog, dann im Dezember 2013 den E-Fan von Airbus (60 Kilowatt) und am 10. Oktober 2020 die Cassio 1 erstmals in ihrer Verbrenner-Elektro-Hybridversion (542 Kilowatt). Didier war 2017 einer der Gründer von VoltAero. An seiner Seite: Chefentwickler und Geschäftsführer Jean Botti, ehemaliger Chief Operating Officer Technology and Innovation bei Airbus, sowie Marina Evans, die bei Airbus in Russland unter anderem für Innovationen, Finanzen und Human Resources verantwortlich war.

FuturistischFuturistisch
Futuristisch: Aus dieser Perspektive hat die Cassio 1 nichts mehr mit der Cessna Skymaster gemein. Allein im Bug stecken 202 Kilogramm schwere Batterien.

VoltAeros Ziel ist die Zulassung eines viersitzigen, später eines sechs und schließlich eines zehnsitzigen Hybridflugzeugs. Zurzeit schließt das 20-köpfige Team die Tests der Antriebsarchitektur ab, die bei der gesamten Flugzeugfamilie verwendung findet. Das Zauberwort lautet „hexamoteur“: sechsmotorig.

Nissan-V6 als Range Power Unit

Mit den Testflügen der Cassio 1, die auf der Cessna Push pull basiert, hat Didier im Februar 2019 begonnen. Der erste Flug fand noch mit den beiden Original-Verbrennungsmotoren statt, nach und nach wurde die Skymaster dann umgebaut. Am Ende hat VoltAero den Frontmotor durch 202 Kilogramm schwere Batterien ersetzt. Zwei Elektromotoren des Typs ENGINeUS 45 (jeweils maximal 55 kW) von Safran wurden an den nach vorn verlängerten Leitwerksträgern montiert – daher die Lightning-Assoziation. Anstelle des hinteren Lycoming IO-360 (210 PS) hat man einen Nissan-V6-Verbrenner (3,5 Liter Hubraum, 343 PS/252 kW) verbaut, der über ein komplexes Kupplungssystem mit drei Emrax-Elektromotoren (je 60 kW) eine Antriebseinheit bildet. Eingekuppelt übertragen alle vier Heckmotoren ihre Leistung auf eine gemeinsame Propellerwelle. Der Prop am Heck stammt von DUC, ist verstellbar und hat fünf Blätter. Am Start läuft er mit 2000 rpm, im Reiseflug mit 1900 rpm.

KupplungssystemKupplungssystem
Hochkomplex: Über ein Kupplungssystem lassen sich die drei Emrax und der Nissan-V6 zu einer Antriebseinheit verbinden.

Der Verbrennungsmotor lässt sich auf unterschiedliche Weise betreiben: Zunächst mal allein als klassischer Pusher. Oder er ist mit den drei Heck-Elektromotoren gekoppelt. Dann kann der Pilot mit einem „Verteiler“ wählen, welchen Leistungsanteil der Verbrennungsund welchen der Elektroantrieb haben soll. Die Bandbreite reicht von 100 Prozent Verbrenner bis 100 Prozent elektrisch. Versagen die Emrax, kann der Pilot sie per Gestänge auskuppeln.

Strecke machen: Der Verbrennungsmotor wird als Range Power Unit bezeichnet

Außerdem gibt es noch die beiden vom Heckantrieb unabhängigen Safran-Motoren an den Flügeln. Ihre Batterien sind dort untergebracht, wo die Skymaster normalerweise ihre äußeren Flächentanks hat. So verbleiben die inneren Tanks mit 147 Litern Benzin für den Verbrennungsmotor, der als Range Power Unit bezeichnet wird: Mit ihm macht man Strecke; 52 Liter pro Stunde verbraucht der Nissan dabei.

Cruise-ModusCruise-Modus
Cruise-Modus: Im Reiseflug stehen die beiden elektrischen Zugmotoren, ihre Propeller sind gefeathert. Jetzt schiebt nur noch der Heckantrieb.

„Der Verbrenner ist permanent an“, erklärt Christian, „er läuft zumindest im Leerlauf, was praktisch sofort verfügbare Energie gewährleistet, also Sicherheit bietet.“ Darüber hinaus fungiert der V6 als Generator – im Flug lädt er die Batterien der Elektromotoren, wie ein Plug-in-Hybridantrieb bei Autos. Die Cassio 1 kann allein mit dem Verbrennungsmotor starten und landen, rein elektrisch oder mit einer Kombination aus beidem. Die Philosophie von VoltAero ist allerdings, den Außenlärm stark zu senken und das Flugzeug daher in Bodennähe elektrisch zu betreiben.

Begleitflugzeug als Telemetriestation

Um die Cassio 1 fliegen zu können, muss man zu zweit an Bord sein. Es gibt auch nur zwei Sitze – die übrigen vier wurden entfernt. Ein Flug beginnt mit dem Countdown, den Jean-Pierre Mille startet, der verantwortliche Mechaniker für die F-WOLT. Jean-Pierre beginnt zwei Stunden vor dem Start mit dem Vorflug-Check und ruft die Piloten an, wenn die Maschine draußen steht. Für die Erfassung von Betriebsdaten ist Paul Ximenes zuständig, ebenso für alles, was mit der Telemetrie zu tun hat: Ein Flugzeug folgt der Cassio 1 als mobile Telemetriestation. Von hier werden die Messwerte zum Boden übermittelt, wo Ingenieure und Techniker sie in Echtzeit analysieren. Über Funk stehen sie mit den Piloten in Kontakt, sodass sie bei Problemen Hilfeleistung geben können. Das erinnert an Cape Canaveral.

TelemetrieTelemetrie
Bodenstation Christian: Briand erklärt die Parameter von Messwerten, die per Telemetrie aus der Cassio 1 übertragen werden.

Vor dem Flug bringt Didier die zehn „Service Plugs“ in Position, orangefarbene Batterietrennschalter, mit denen die Cassio 1 Saft bekommt. Sechs dieser Stecker kommen in die Flugzeugnase und je zwei an die Außenseite der Safran-Triebwerke (Motoren 1 und 2). Im Cockpit machen die beiden Testpiloten einen Funkcheck mit den Mechanikern und den Telemetrie-Teams.

Starten des Hybridmotors: Viele Schritte gibt es zu beachten

Didier stellt die Motorsteuerung auf Hybrid und den Hybridverteiler auf 100 Prozent elektrisch, anschließend die Schalter der Motoren 3, 4 und 5 auf „ON“. Beim Einschalten der drei hinteren E-Motoren, dem sogenannten „Initialisieren“, führen diese langsam eine Umdrehung aus, da jeder Motor seinen eigenen Regler hat und bei diesem automatischen Vorgang die Sensoren jedes Motors abgeglichen werden. Mit wenig Energie, etwa 10 kW, testet der Pilot zunächst die drei Emrax – das EFIS im Panel zeigt ihm an, ob jeder einzelne Leistung bringt. Das Powersetting wird in Prozent angegeben.

Nun startet Didier den Nissan. Dabei lässt er den Anlasser bei ausgeschalteter Zündung etwa zehn Sekunden lang laufen, bis Öldruck aufgebaut ist (Trockensumpfschmierung). Zündung ein, Anlasser betätigen, und der V6 springt an. Er macht ein sattes Geräusch, wenn er mit 850 Umdrehungen pro Minute im Leerlauf läuft. Der Sound erinnert an großvolumige Rennmotorräder. Während die Crew checkt, ob Leben in die Anzeigen des Garmin G5 und des Garmin 500 kommt, steigen Ölund Wassertemperatur.

Steigen mit Zusatzleistung

Vor dem Losrollen werden die Klappen auf Stufe 1 gesetzt und das Batterie-Managementsystem aktiviert. Die Safran-Motoren beginnen direkt mit 500 Umdrehungen pro Minute zu laufen. Will man einen voll elektrischen Flug, kann die Maschine drei Starts mit den vorderen Motoren und zwei Starts mit den hinteren durchführen. Dann stehen etwa 15 Minuten Motorlaufzeit zur Verfügung. „Wenn man nur mit den Safrans startet, wird es etwas eng, aber es geht“, sagt Didier, „zur Sicherheit lassen wir den Verbrennungsmotor mitlaufen, um ihn bei Bedarf unterstützend oder als Ersatz einsetzen zu können.“ Die Cassio 1 kann sowohl 100 Prozent elektrisch starten, zu 100 Prozent mit Verbrennungsmotor als auch mit einer Kombination aus beiden Antriebsarten.

Zwei PilotenZwei Piloten
Allein geht nichts: Die Cassio 1 braucht zwei Piloten. Der linke bedient den Heckantrieb und steuert, der rechte ist für die Flügelmotoren zuständig.

Im Cockpit ist das Zusammenspiel der Piloten der Crew-Leistung in einer Convair B-36 Peacemaker würdig: Der linke Pilot steuert und bedient den Verteilerhebel, der das Zusammenspiel der vier Heckmotoren regelt, während der rechte Pilot für die beiden vorderen Motoren zuständig ist. Bei den Überwachungsaufgaben gebührt den Batterietemperaturen besonderes Augenmerk – sie gehören zu den zentralen Parametern. Für den Startlauf stellt der steuernde Pilot normalerweise seinen Leistungshebel für den hinteren Antrieb auf 160 kW, während der rechts sitzende 45 kW für jeden der beiden Zugmotoren wählt. Nach etwa 400 Metern ist die Rotationsgeschwindigkeit von 70 Knoten erreicht. Abheben und Fahrwerk rein. In zirka 500 Fuß über Grund fährt der rechts sitzende Pilot bei 95 Knoten die Klappen ein und regelt die Safrans auf 30 kW.

Redundante Auslegung: Bei Triebwerksausfall übernehmen die Elektromotoren

„Wir steigen mit 900 bis 1000 Fuß pro Minute. Wenn wir 1500 Fuß erreichen, reduzieren wir die Leistung der Safrans auf null und stoppen sie“, erklärt Christian. „Dann feathern wir ihre Props, elektrisch mit Drucktasten, und steigen mit 600 Fuß pro Minute langsam weiter auf 5000 Fuß. In dieser Höhe stellen wir die Leistung auf 155 kW, was 105 Knoten ergibt. Wir könnten schneller fliegen, aber das bringt nichts. Die Safrans lassen sich jederzeit wieder zuschalten.“

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Man möchte meinen, dass ein Triebwerksstillstand beim Start die größte Gefahr darstellt, aber zum einen sind die Antriebseinheiten redundant ausgeführt, zum anderen hält sich die Asymmetrie in Grenzen, wenn einer der Flügelmotoren ausfällt – ihre Props arbeiten gegenläufig, mit den schubstärkeren abwärtslaufenden Blättern auf der Rumpfseite. Bei Totalausfall des Heckantriebs können die Safran-Motoren bis zu 22 Minuten lang im 30-kW-Modus betrieben werden. Ist ein Ausweichplatz im Gleitflug erreichbar, lässt sich die Landung entschärfen, wenn man die verbliebene Batterieladung dazu einsetzt, mit den Safrans zu landen.

Vor der Landung werden die Zugmotoren wieder auf Betrieb geschaltet

Bei normalen Landeanflügen stellen die Piloten die Propellerblätter der Zugmotoren in zirka 1500 Fuß wieder auf Betrieb, schalten die Stromzufuhr ein, prüfen, ob sich die Drehzahl erhöhen lässt, regeln die Leistung dann aber wieder auf Leerlauf. Bei 100 Knoten kommt das Fahrwerk raus, und die Klappen werden auf Stufe 1 gesetzt. In der Platzrunde trimmt der Pilot 95 Knoten ein. Auf 80 Knoten verlangsamt geht’s mit Klappenstufe 2 Richtung Schwelle. Im Endanflug wird der Sinkwinkel mit den vorderen Triebwerken kontrolliert, die Landegeschwindigkeit beträgt 70 Knoten.

Nachdem das Flugzeug die Piste verlassen hat, stellt der links sitzende Pilot die hinteren Triebwerke ab; die Maschine rollt allein mit den Zugmotoren zur Parkposition. Dort schaltet die Crew alle Systeme aus, steigt aus und zieht die „Servicestecker“ ab, um die Cassio 1 vom Strom zu nehmen.

In zweieinhalb Stunden aufgeladen

Vor dem erneuten Aufladen müssen sich die Batterien erst abkühlen. „Wenn ihre Temperatur unter 42 Grad Celsius gefallen ist, brauchen wir zweieinhalb Stunden, um sie aufzuladen“, erklärt Christian. Die Testflüge dauern zwischen 1:30 und 2:15 Stunden. Lärmmessungen haben kürzlich ergeben, dass die Cassio 1 im Vergleich zur Cessna Skymaster in 800 Überflughöhe am Boden um beträchtliche 8 dB(A) leiser ist. Das VoltAero-Team geht davon aus, dass sich der Lärm mit optimierten Propellern noch weiter senken lässt.

AufladenAufladen
Wieder startklar: Nachdem die Batterien auf 42 Grad abgekühlt waren, wurden sie in 2:30 Stunden geladen. Jetzt können alle Motoren Leistung liefern.

Bisher hat der Prototyp knapp 100 Fluge absolviert. Der nächste Schritt besteht darin, das Flugzeug so zu modifizieren, dass es von einer Person geflogen werden kann – eine beträchtliche Herausforderung bei sechs Triebwerken. Die Vorführmaschine, die als Prüfstand und zur Vorbereitung auf spätere Zulassungen dient, darf nicht mit dem Flugzeug verwechselt werden, das mal auf den Markt kommen soll. Das Ziel von VoltAero ist nicht die Nachrüstung von Cessna Skymaster (wie es die kalifornische Firma Ampaire plant), sondern eine von Grund auf neue Hybrid-Flugzeugfamilie. Bestehen soll sie aus der viersitzigen Cassio 330, dem Sechssitzer Cassio 480 und dem Zehnsitzer Cassio 600.

Fortsetzung des E-Fans

Für VoltAero-Geschäftsführer Jean Botti ist diese Modellreihe die logische Fortsetzung des E-Fans: „Ein Hybridkonzept mit vier bis zehn Sitzen war Teil der Roadmap, die ich nach dem E-Fan für Airbus ausgearbeitet hatte. Als der Konzern beschloss, das Programm einzustellen und sich auf größere Flugzeuge zu konzentrieren, entschied ich mich, mit Didier und Marina weiterzumachen. Wir nutzen aber keines der E-Fan-Patente. Für die Finanzierung der Produktion müssen wir 34 Millionen Euro beschaffen.“

21,9 Millionen hat VoltAero bereits zusammen. Finanzielle Unterstützung, so Botti, erwarte er auch vom Staat, aus dessen Budget zur Wiederbelebung der französischen Luftfahrt seinem Unternehmen bisher nichts zugute gekommen sei.

Cassio 330

Der geplante VoltAero-Viersitzer Cassio 330 nutzt die Technologie, die gegenwärtig in der Cassio 1 erprobt wird. Die Antriebsleistung soll 330 kW/440 PS betragen, geplant ist die Zulassung nach CS-23. Für den Piloten soll eine Einmot-Klassenberechtigung (SEP) genügen: Obwohl das Flugzeug sowohl mit Verbrennungsmotor als auch mit Elektroantrieb ausgestattet ist, gibt es nur einen Hebel für die Leistungseinstellung. Ob die Cassio 330 im reinen Elektro- oder im Hybrid-Modus fliegt, entscheidet der Pilot.

Cassio 330Cassio 330

Wenn der Energievorrat in den Batterien allerdings auf 20 Prozent gesunken ist, aktiviert der Bordcomputer automatisch den Hybridmodus, und der Verbrennungsmotor lädt die Batterien wieder auf. „Das Flugzeug wird mit einem intelligenten Cockpit ausgestattet sein, das wir speziell für die Cassio entwickeln“, sagt VoltAero-Chef Jean Botti. Im Hybridbetrieb soll die Reichweite bis zu 800 Nautische Meilen betragen, die Endurance 3:30 Stunden. Als Reisegeschwindigkeit werden 200 Knoten anvisiert. Das Design erinnert an die Piaggio Avanti, und wie bei dieser wird die Zelle weitgehend aus Metall bestehen. Für die Entwicklung des Konzepts zum Prototypen ist der belgische Flugzeughersteller Sonaca Aircraft (Sonaca 200) zuständig, der auf Metallbau spezialisiert ist.

Text & Fotos: Jean-Marie Urlacher fliegermagazin 2022

Technische Daten
Schlagwörter
  • Voltaero
  • Cassio 1
  • Elektroantrieb
  • Verbrennungsmotor
  • Hybrid
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